Friday, March 16, 2007

Kyle Eastwood zu Paul Albert Leitner, 2: "Ich bin kein Jazz-Snob, wahrscheinlich auch kein Asket"


Kyle Eastwood (Foto © Gai Jeger)


2. Teil des Gesprächs von ELFI OBERHUBER mit Fotokünstler PAUL ALBERT LEITNER und Jazz-Bandleader KYLE EASTWOOD. Auf das asketische Meditieren folgt das sinnliche Reisen. Mit direkter Auswirkung auf die Kunst. Für Einführung und Teil 1 scroll down.

Kurzprofil KYLE EASTWOOD, geb. 19.5.1968 in Kalifornien/USA (Sternbild Stier). Zweites Kind von Hollywoodstar Clint Eastwood und dessen erster Ehefrau Maggie Johnson. Der Vater, Jazzfan und Hobbypianst, bringt den Sohn zum Jazz und arbeitet mit ihm als Filmkomponist (Mystic River, Million Dollar Baby -Oscar-Abräumer 2005, Letters from Jima - Oscar 2007 u.a. für Ton-Schnitt, CD-Veröffentlichung Februar 2007). Kyle, kurz Schauspieler, lernt Bass autodidaktisch. Macht Mainstream-, Contemporary-, Hard Bop-, Cool-, Funky-Jazz. Zunächst in vielen Bands. Heute Leader einer wahrlich sexy "Jazz-Boy-Group". Erste CD 1998 From There to Here (Sony) mit Miles-Davis-Gil-Evans-Einfluß, zweite CD 2005 Paris Blue, jüngste CD Ende 2006 Now. Seit Paris Blue arbeitet Elektronikinstrumentalist und Kompositeur Michael Stevens eng mit Kyle Eastwood zusammen. Now (Record Label / Rendezvous Entertainment) ist ein grenzüberschreitender Genremix aus Postmodernem Jazz, Pop und Club (mit einer The Police-Song-Interpretation). Mit Gesang und Songwriting von Jamie Cullums Bruder, Ben Cullum, sowie der Neuen Garde der britischen Underground-Jazzbläserszene Graeme Flowers und Dave O´Higgins aus London, wo Kyle Eastwood lebt.

- In welcher Verbindung Kyle Eastwood zu Jazzpianist - und Bandleader Jon Regen (in www.intimacy-art.com / artists / talks / vision) und dem Underground- Club- Jazz- Genre steht, erfährt man über intimacy: art (www.intimacy-art.com) in REALNEWS / WATCHER (bzw. TIPPS) / Archives: March. Titel: TANZEN AB 30: BEI PEE WEE ELLIS, PRINCE, KYLE EASTWOOD & JON REGEN


Fremde Städte und ein Kind - zwei Inspirationen

Foto © Paul Albert Leitner: Brno, 1997

intimacy-art: Die Inspriation für Ihre CD "Paris Blue" holten Sie sich nun auf Reisen. Wie Asketen, die sich als Pilger beim Reisen in spiritueller Tiefe selbst finden, um ihren Standpunkt gegenüber dem Weltgeschehen zu reflektieren. Inwiefern wurde Ihre Musikwelt nun von den Städten Marakesh, Solferino, Paris beeinflußt?
KYLE EASTWOOD:
Geschrieben habe ich die meisten Nummern in Paris, und den Titel Marrakesh tatsächlich nach einem Trip in Marokko.
Ich war dort vier, fünf Mal. Beim ersten Gang durch den Markt hörte ich diese Musik, wo die Einheimischen außerhalb des Platzes spielen. Später stellte ich mich immer dorthin, während meine Freunde einkauften, um zu lauschen. Manchmal spielten sie auch für tanzende Schlangen. Der Titel lebt daher von der folkloristischen Musik des mittleren Ostens. Er ist sehr romantisch.
intimacy-art: Der Titel "Solferino" kommt mir sinnlich-schwül vor. Ist das dort so?
EASTWOOD:
Solferino ist eine Straße in Paris, also nicht der Ort in Italien, mit einer Brücke für Fußgänger über der Seine, mit Bänken und nahe dem Ort in
Paris, wo ich mit meiner Tochter lebte, und mit meiner Exfrau - die von spanischer Herkunft und in der Mode arbeitend naheliegenderweise auch ein gutes Kunstgespür hat. Dorthin ging ich also fast jeden Tag - manchmal aus Spaß, machmal zum Mittagessen - und ließ die Atmosphäre auf mich wirken. (Er stockt, beobachtet durchs Fenster den stürmischen Hagel und lacht verwundert.)
PAUL ALBERT LEITNER:
Nanu, haben wir schon April?

EASTWOOD (lacht):
... ja, das war also ein inspirierender Platz
für mich.
intimacy-art: Und der elegant-verträumte "Paris Blue"-Covertitel ist, glaube ich, von Ihrer Tochter inspiriert?
EASTWOOD:
Ja, meine Tochter hat das Motiv über lange Zeit am Klavier gespielt, sodass ich nach einem "Mach weiter!" zwei Mikros am Piano befestigte. Sie
mußte es dreimal spielen, ich legte die Strings darunter, und das Intro war fertig. Das war sozusagen der Samen, woraus dann das Lied erwuchs.

"Pilger" auf Atmosphärensuche


intimacy-art:
Und Paul Albert Leitner ergeht sich - tatsächlich wie ein asketische Pilger - reflektierend die Städte, nicht?

LEITNER:
Nun, um das "Gefühl" einer Stadt zu erfassen, lese ich mich vorher gut ein, dann bewege ich mich als anonymer, zahlungsschwa
cher Tourist, ökonomisch vorgehend, zu Fuß und voll konzentriert vom Zentrum in immer größeren Kreisen nach außen. Ich wandere mit der Sonne, und weiß ich, wie sie sich dreht, kommt vielleicht nach großer Erschöpfung noch die Seite dran, die vorher im Schatten lag. Die Motive selbst wiederholen sich eigenartigerweise in jeder Stadt in zwanzig Themengruppen: Fassaden, Typografien, die Peripherie mit Müll, Ruinen, sowie Industrie-Landschaften: dort gibt es etwa immer typisch "aufgeladene" Tankstellen. Wie jene in Podersdorf, die man mit dem Mythenbild des Roadmovie assoziiert. Ähnlich ist es mit Edward-Hopper-Barsituationen. Die habe ich im Hinterkopf, was dann in der Atmosphäre des Fotos durchscheint. Und bin ich hier noch der Sammler, so werde ich dann beim Auswählen und Kombinieren zum reflektierenden Dichter: ich verdichte alles zu einer Ausstellung, wie zur 25-Bilder-Auswahl in der Galerie Steinek oder beim Buch Cities, Episodes mit 455 Fotografien bzw. dem jetzt erschienenen Buch Wien: Momente einer Stadt, mit den markantesten Fotos der letzten zehn Jahre. Die Fotos sind immer auch Zeitdokumente, da viele fotografierte Plätze, Lokale, Reklametafeln heute gar nicht mehr bestehen. Deshalb bekommt bei mir jedes Foto auch einen Zeit-Ort-Titel.
intimacy-art:
Haben Großstädte eine funky Atmosphäre mit groovy Rhythmus, wie es in den Titeln "Big Noise", wo Ihr Vater Clint
Eastwood pfeift, und "Cosmo" durchklingt? Repräsentiert das für Sie den Prototyp einer Urbanität?
EASTWOOD:
Ja, das kann man sagen. Mit dem Vorteil, dass sich solche Musik wirklich in allen Großstädten spielen läßt. Denn die urbane Publikumsmentalität ist
weltweit homogen. Ich bin aber generell kein Jazz-Snob, kann mich sehr an Popmusik und anderem erfreuen. Bei meiner ersten CD From There To Here ließ ich mich von Miles Davis´ und Gil Evans´ gemeinsamem, großem Orchesterjazz beeinflussen. Diese typischen, traditionellen Arrangements mag ich sehr, sodass ich sie im Soundstil übernahm. Und vorher spielte ich in Funk-Bands. Und in allen meinen Alben repräsentiere ich prinzipiell verschiedene, bevorzugte Stile.

Foto © Paul Albert Leitner: Schottenbastei,
aus Vienna: Moments Of a City


Von den Askesefarben zur Erkenntnisgewinnung


intimacy-art:
Die Askese-Farben sind nun Grün (Hoffnung, Natur, Ruhe), Blau (Treue, Keuschheit, Unergründlichkeit, Ferne) und vor allem Violett. Was für
Farben und Töne finden sie am schönsten?
EASTWOOD:
Manche Kinderstimme, Naturgeräusche und auch Autohupen - dabei dachte ich schon an ein Sample. Und Blau ist mir die liebste Farbe, aber auch
leidenschaftliches Rot.
LEITNER: Bei den Farben schließe ich mich an, ich mag auch Orange. Bei Blau denke ich an Dämmerung und Großstadt-Saxophon-Sound, wenn ein Ozeandampfer in den Hafen einfährt, mit dem lauten: "Wööööööh." Beim Fotografieren achte ich aber nur unterbewußt, intuitiv auf Farben. Ein Highlight ist, wenn eine Farbe pur daher kommt, wie beim blauen Bauzaun in Manhattan, eine Situation, die man beim Film bestellen müßte. Und "Rote Menschen" passieren mir immer wieder auf der Welt, wie der Schuljunge im roten Trainingsanzug, oder die Portugiesin, bei der absolut alles rot war: Schuhe bis Handtasche. Am stärksten inspiriert mich aber sicher Musik: Salsa sitzt mir in Havanna zum Beispiel von der Ankunft am Airport bis zur Abreise im Ohr. Wenn du da durch die Straßen gehst, ist das das reinste Salsa-Konzert. Ein heißes Gefühl hat dieser Salsa.
intimacy-art: Ich kenne einen Fotografen, der auf den Straßen immer Mädchen ansprechen muß und sie zu intimen Fotoshootings einlädt. Fallen Ihnen auch Mädchen auf?
EASTWOOD (lacht):
Nun, gelegentlich. Eigentlich mag ich aber Architekur, besonders alte, wovon Europa so viel hat, und die Natur. E
in Sonnenuntergang ist für mich immer sehr anziehend, da ich nahe dem Ozean aufgewachsen bin.
intimacy-art:
Erweitert Reisen Ihrer Ansicht nach tatsächlich den Horizont?

EASTWOOD: Bestimmt. Es lehrt dich mehr als irgendeine Schule. Ich wuchs glücklicherweise - da mein Vater in Europa arbeitete - vielreisend auf. Meine Mutter war immer sehr in Vaters Berufsweg involviert, obwohl sie zuvor Sekretärin war. Dabei malte sie in Spanien sehr viel nach Fotografie-Vorlagen. Diese Umsetzungslust habe ich wahrscheinlich von ihr übernommen. Dass man als Jazzer verschiedene Stadt-Atmosphären tanken kann, ist also tatsächlich für das Lebensgefühl bereichernd.
intimacy-art:
Und Ihnen wird vom vielen Reisen sicher schwindelig!

LEITNER:
Das kann man sagen, ja. Denn das Reisen ist heute gar nicht mehr so einfach, wie man glaubt. Mich mit der Mobilität aller Menschen zu
konfrontieren, während ich immer noch ein altmodischer Reisender bin, verschafft mir Probleme. Angefangen von den Klimaanlagen bis zur Schulterentzündung beim Fahren bei offenem Fenster. Diese Strapazen vergißt man also danach lieber.
intimacy-art:
Wie steht es im Gegensatz zur Fremde mit Ihrem Heimatbewußtsein?

LEITNER:
Es steht ein Wort im Reisepaß, das als Heimatland gelten soll, für mich stimmt jedoch: Meine Bibliothek ist meine Heimat.

EASTWOOD:
Meine Heimat kann nur manchmal die Musik sein, eher ist es das, wo meine Tochter lebt, oder wo ich aufwuchs: bei meiner Mutter. - Mein Vater lebt
mit seiner Frau in der Nähe davon. Selbst wenn ich sie nur ein-, zweimal pro Jahr besuche und das nicht wirklich meine Lebensbasis ist.
intimacy-art:
Haben Sie eine Familie?

LEITNER:
Nein.

intimacy-art: Also ein Single-Mann. - Der aber vielleicht seine Verantwortung gegenüber der Menschheit übers Publikum ausleben kann: Haben Sie das Bedürfnis nach Sinnstiftung?
LEITNER: Wenn meine Bilder in den Leuten eine Erkenntnis, eine Reflexion auslösen, ist das mein Ziel, ja.
EASTWOOD:
Bei mir können sie sich durchaus unterhalten, da es Teil und Wert der Musik-an-sich ist. Allerdings soll diese Musik schon von künstlerischer
Qualität sein, die zu bewegen vermag.

Foto © Paul Albert Leitner: Schmelzgasse,
aus Vienna: Moments Of a City

(Interview-Auszug vom 22.1.2005, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (halb Deutsch, halb Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

Paul Albert Leitner zu Kyle Eastwood, 1: "Ich beobachte gern asketisch-strapazierte Leute"


Paul Albert Leitner (Photo © Gai Jeger)


Jazzbassist und Bandleader KYLE EASTWOOD und Fotokünstler PAUL ALBERT LEITNER haben eine Kehrtwendung eingeschlagen: Leitner zeigt sich in seinem neuen Buch nach dem witzig-reflexiven Globetrotter als persönlich-heimatverbundener "Wiener", Eastwood in seiner neuen CD nach seinen musikalischen Städte-Impressionen als unterhaltsamer Club- und Popjazzer. Davor hatten sie noch so etwas gemeinsam wie "Askese". Das hat zumindest ELFI OBERHUBER im Gespräch mit ihnen empfunden ...

Kurzprofil PAUL ALBERT LEITNER, geb. 1957 in Jenbach/Tirol (Sternbild Jungfrau). Ausgebildeter Fotograf, seit 1986 freischaffender Künstler. Vielfach ausgezeichnet, mehrere Staatsstipendien. Einzelausstellungen seit 1988 in Österreich (u.a. Secession, MuMoK, Kunsthalle), Deutschland, Bozen, Turin, Warschau, etc.. Beteiligungen auf der ganzen Welt. Nach seinem ersten Fotoband Kunst und Leben (Text: Gerald Matt), erschien 2005 Cities, Episodes - 455 Fotografien, die der Welt durchreisende Beobachter in zehn Jahren geknipst hat, und im März 2007, herausgegeben von der Fotohof edition, Salzburg die logische Umkehrung davon: Wien: Momente einer Stadt (Vienna: Moments of a City): hier kehrt der Globetrotter in seine Heimatstadt zurück, um das in berechnetem Sonnenlicht, purer Farbe und nacktem Gemäuer, aber von ungemeiner Erzählkraft zu zeigen, was einmalig ist: scheinbar unbedeutende Örtchen, Fassaden, Stellen, Objekte, Schriftbilder, die gerade deshalb - und so wie sie durch Leitners Auge gesehen werden - eine ganz persönliche Persönlichkeit aufweisen. "Ortschmuck", den es heute teilweise gar nicht mehr gibt. Impressionen und Stimmungen, die unwiederholbar sind. - Auch hier handelt es sich um eine Bilderauswahl von 165 Fotos der letzten zehn Jahre. Begleitet wird die Buch-Veröffentlichung von einer Einzelausstellung vom 17.7.bis 17.8.2007 in der Wiener Galerie Steinek, Eschenbachgasse 4, 1010 Wien. Und vom 10.7.-28.8.2007 läuft in der Kunsthalle Wien, project space karlsplatz, die Ausstellung: Paul Albert Leitner - Porträts von Künstlern und anderen Personen, Selbstporträts und Natur


Askese als Weg zur Ästhetik

Foto unten © Paul Albert Leitner:
Hannovergasse,

aus Vienna: Moments Of a City

intimacy-art: Ich habe einen Rahmen gefunden, der sie beide vereint: Askese.
KYLE EASTWOOD: Wie? Ästhetik?
intimacy-art: Askese. Verzicht auf Überflüssiges und Luxus zugunsten des Nötigsten.
EASTWOOD: Eigentlich erfreue ich mich sehr an hübschen Sachen. Aber lieben tu ich Kunst und Musik.
intimacy-art: Hat das nichts mit Askese zu tun?
EASTWOOD: Es hat im Gegensatz zu den hübschen Dingen zumindest wenig mit Finanziellem oder Luxus zu tun. Für mich ist es lebensnotwendig.
intimacy-art: Hm, könnten wir trotzdem die Musik leiser schalten? (Im Hintergrund läuft Frank Sinatra)
EASTWOOD (ruft): Dreh Frank runter, bedauerlicherweise!
PAUL ALBERT LEITNER: Ich lebe die Askese schon aus existenziellen Gründen in Form von einer Zurückgenommenheit, was mit Meditation zu tun hat.
EASTWOOD: In der Musik versetzt du dich auch in einen Geistesrahmen. Man muß sich auf die Form der Musik konzentrieren und gleichzeitig bezüglich der Mitspieler fürs Gruppenerlebnis offen halten.
intimacy-art: Jazz ist sicher die intellektuellste Form von Musik. Das würde dem Beherrschen des Asketen seines Körpers entsprechen, um den Geist zu spüren.
EASTWOOD: Manchmal ist es Gehirnmusik, etwas Intellektuelles, ja.
intimacy-art: Dabei ist mir Ihre angestrengte Mimik aufgefallen, während Sie spielen. Kommt die aus dem Kopf oder aus dem Körper?
EASTWOOD: Manchmal konzentriert man sich, manchmal versucht man die Musik zu fühlen, denn grundsätzlich muß sie aus dem Bauch kommen.
LEITNER: Ich muß mich ebenso beim Fotografieren konzentrieren, im nur aus Überfluß und Überfülle an Bildern bestehenden Alltag. Innerhalb dieser Impressionslawine beginne ich dann still und ruhig, aber bei einer Entscheidungsgeschwindigkeit in Sekundenschnelle, asketische Dinge zu entdecken: wie dieses Detail einer Erdbeere. (Im Wasserglas am Tisch liegt ein Erdbeer-Schnitz.)
intimacy-art: Was aber wieder ein Luxus darstellt, oder zumindest etwas Ästhetisches.
LEITNER: Ein schönes Stillleben: dieser Schnitz von einer Erdbeere, der reduziert und einsam im Leitungswasser schwimmt. So wie Motive, die nur vom Licht leben, von der Atmosphäre, in schnell-vergänglichem Blick. Diese kleinen Dinge beobachte ich und sind mir wichtig. Die knipse ich dann gezielt bei sparsam-geringem Filmverbrauch, nur mit 50 mm-Objektiv. Der Blick ist also auf den Ausschnitt dieser Brennweite trainiert, was in Körper und Geist übergeht.
intimacy-art: Die historische Figur des Dandy, wie etwa Oscar Wildes Dorian Gray - war nun ...
EASTWOOD: ...eitel.
intimacy-art: ... aber auch Ästhet. Als Aristokrat verkörperte er eine geistige Haltung.
EASTWOOD: Er dachte in gesellschaftlichen Klassen, ja.

Foto © Paul Albert Leitner: Hippgasse,
aus Vienna: Moments Of a City


Morbidität als Kunstausdruck

intimacy-art: Im Dandy sind also Ästhetik und Askese vereint: er zog es vor, nichts zu essen, nicht zu schlafen, um mit strapazierten Nerven melancholisch und umso sensibiliserter Kunst wahrzunehmen. Er wollte ungesund, unathletisch sein - er war also das Gegenteil der meisten Amerikaner ...
EASTWOOD (lacht).
intimacy-art: Haben Sie je so gefühlt?
EASTWOOD: Bei mir hat alles mit dem Herzen zu tun, womit ich mich einlasse. Ich mußte mich also nie absichtlich dieser Situation aussetzen, um so ein Stadium zu erreichen. Aber Ästhetik war mir an sich immer schon wichtig. Ich malte, musizierte, war von kleinauf gut in Kunst, weil ich mich dafür interessierte. Bei Mathematik und Wissenschaft war das weniger der Fall.
intimacy-art: Haben Sie nie die Nächte durchgemacht, als Sie jung waren?
EASTWOOD: Nun, als Musiker machst du ohnehin viele Nächte durch. Möglicherweise kann ich das also bejahen. (lacht) Für die Kunst-Wahrnehmung - besser das Kunst-Machen - braucht man aber nur gute Inspiration. Und die kann man in jeder physischen Verfassung haben, bevorzugt aber in der Gesunden.
LEITNER: Ich liebe es schon, andere in diesem Zustand zu beobachten und stelle mich in Selbstportraits in erschöpftem Zustand dar: in Hotelzimmern, auf Reisen, auf Flughäfen. D.h. ich spiele mit der Idee der Selbstbespiegelung, was ja zum Dandy gehört. Tatsächlich bin ich aber eher befangen. Meine Exzesse begrenzen sich auf die Jugendzeit. Nur im Kopf finden sie noch statt.
intimacy-art: In Ihrer Kunst drückt sich die ästhetische Morbidität auch in Todessujets aus...
LEITNER: Nun, ohne Schrecken keine Schönheit: der tote Hund auf der berühmten Promenade in Havanna, lag unvergänglich schön in der Sonne. Auch noch am nächsten Tag und den Tag darauf, sodass er auf jedem Foto, das ich machte, verwester war. Manchmal hat man also auch mehr Zeit, nicht nur den vorher erwähnten schnellen Moment. Für dieses Motiv hatte ich fünf oder sechs Tage.
EASTWOOD (lacht): Sie fotografierten ihn jeden Tag? In unterschiedlicher Sonne?
LEITNER: Einen toten Hund im Sonnenschein. Das war sehr brutal, sehr schön. Der Tod ist als Teil des Lebens auch wichtig.
intimacy-art: Ein altes Thema in der Kunstgeschichte. - Jetzt eine kleine Frage: Wo liegt in Ihren Augen der Zusammenhang zwischen Hunger und Sex?
EASTWOOD (lacht)
intimacy-art: Ist es wirklich wahr, dass man kein Verlangen nach Sex hat, wenn man hungrig ist?
EASTWOOD: Ob das wahr ist?

Foto © Paul Albert Leitner: Me, myself in a hotel, 2002 - der Künstler-Dandy in erschöpftem Zustand im Gramercy Park Hotel, suite 1521, Manhattan/New York City
aus Cities, Episodes


Von der Hungerinspiration zur Körperlust

intimacy-art: Männer führen zum Beispiel Frauen zum Essen aus, bevor sie mit ihnen Sex haben wollen. - Ob das aber wohl so gut für den Sex ist, vorher so viel zu essen?
EASTWOOD: Da gebe ich Ihnen prinzipiell recht. Aber das klingt bei Ihnen wie ein Ritual, ein Dinner bei einem Date zu haben, und dann zu viel zu essen...
intimacy-art: Ich spreche nicht von mir, sondern vom Zusammenspiel von Körper, Geist und Begierde.
EASTWOOD: Hierbei handelt es sich wohl um zweierlei Verlangen. Man ißt zuerst mal, um zu existieren. Beim sexuellen Trieb geht es nicht um die Frage von Leben oder Tod. Obwohl es sich manchmal gleich stark anfühlen kann. Wo soll es da also einen Zusammenhang geben?
intimacy-art: Die asketischen Buddhisten essen zum Beispiel nichts und verzichten auf Sex, um ....
EASTWOOD: ... klar zu sein. Ich verstehe, ja.
intimacy-art: Ich stelle mir aber vor, dass ein Buddhist gerade wegen des Fastens Sex haben will.
EASTWOOD: Also, ich erfreue mich am Essen und am Sex.
intimacy-art: Anfangs sagten Sie allerdings, dass Sie nicht zu viel essen möchten, um Sex zu haben.
EASTWOOD: Ja, das stimmt.
intimacy-art: O.k., wie ist es mit Ihnen? (alle lachen)
LEITNER: Das war mir zu kompliziert.
intimacy-art: Stimmt es für Sie, dass man keine Lust auf Sex hat, wenn man weniger ißt?
LEITNER: Also das ist ein Blödsinn.
intimacy-art: Wieso? Wenn man verliebt ist, kann man auch nichts essen; man lebt von Luft und Liebe.
LEITNER: Also, ich weiß nicht, von wem das ist, aber das ist, glaube ich, ein Blödsinn.
intimacy-art: Möchten Sie - so wie viele Menschen - zuerst essen gehen und dann Sex haben?
LEITNER: Tja, ... zuerst klingt das sehr einfach, aber im Grunde ist das Philosophie. Ich erinnere mich an die Naturgeschichte, wo der stärkste Trieb der Erhaltungstrieb ist, also die Ernährung, Essen. Der zweite ist erst der Sexualtrieb, was ja mit der Fortpflanzung zusammen hängt. Das ist alles von der Natur gut eingerichtet. Und wir sind Teil dieser Naturgewalten: Man muß sich nur vorstellen, man sei in der Wüste und habe kein Wasser, dann wird man sicher nicht an Sex denken. Sowie auch nicht, wenn man verhungert. Danach kommt aber sicher gleich der Fortpflanzungstrieb.
intimacy-art: Wir sprechen da, glaube ich, von verschiedenen Stadien. Bevor ich verhungere, werde ich sicher essen ...
EASTWOOD: Was ja auch mein Punkt war: zuerst geht es um die Frage von Leben oder Tod - und dann um die Abstufungen.
LEITNER: Es wird am Ende wohl von jedem individuell zu beantworten sein. Der eine ißt vor dem Sex ein Eis, der nächste trinkt nur Alkohol.... es bedarf also auch hier, wie in der Kunst, einer gewissen "Inspiration", würde ich sagen.

Foto © Paul Albert Leitner: Rechte Wienzeile,
aus Vienna: Moments Of a City


Lesen Sie in Teil 2 oben: Von der sexuellen Inspiration zur Reise-Inspiration: - Wie Paul Albert Leitner und Kyle Eastwood zu ihrer Kunst finden.
(Interview-Auszug vom 22.1.2005, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (halb Deutsch, halb Englisch) über intimacy-art@gmx.at)