Sunday, May 04, 2008

Maria Schrader: "Mich zieht nicht per se ein Mann an, der mich schlecht behandelt"


Maria Schrader (photos © Elfi Oberhuber)

Ihre erste Filmregie über eine Israelin - geschrieben ebenfalls von einer Israelin (Zeruya Shalev) - zu machen, scheint auf einen tiefliegenden inneren Wesensantrieb der hochbegabten und gefeierten deutschen Schauspielerin MARIA SCHRADER zurückzuführen zu sein. Vielleicht ist er noch tiefer ausgeprägt, als der Trieb, sich zu "gefährlich-außergewöhnlichen" Männern hingezogen zu fühlen ... Das fand zumindest ELFI OBERHUBER im Interview mit der Neo-Regisseurin heraus, neben all den unterschwelligen Lüsten im erotischen Bestseller Liebesleben.

Kurzprofil MARIA SCHRADER (geb. am 27.9.1965 in Hannover / D, Sternbild Waage) drehte 2005 ihren Film-Regie-Erstling Liebesleben nach dem gleichnamigen Bestseller von Zeruya Shalev. In Österreich wird er über Filmladen (link www.filmladen.at) vertrieben. Zuvor machte sich die Tochter eines Malers und einer Bildhauerin als eine der begabtesten Schauspielerinnen im deutschen Raum einen Namen, obwohl sie das Max-Reinhardt-Seminar in Wien 1985 nach zwei Jahren Studium abgebrochen und stattdessen ihre Gesangsstimme bei Mirka Yemen Dzaris an der Berliner Schaubühne ausgebildet hatte. Schon 1982/83 gehörte sie zum Ensemble des Staatstheaters von Hannover, mit Auftritten in Wien, Venedig und Bonn. 1988 gab sie ihr Filmdebüt in der Komödie RobbyKallePaul ihres Lebensgefährten über einige Jahre, Dani Levy, unter dessen Regie sie in insgesamt 11 Filmen (I was on Mars, Stille Nacht, Meschugge und Väter) mitwirkte. Für ihre Rollen in Burning Life von Peter Welz und Doris Dörries Keiner liebt mich erhielt sie 1995 und 1999 den Deutschen Filmpreis als beste Darstellerin, nach dem Max-Ophüls-Preis 1992 als bester Nachwuchs. Sie drehte weiters mit H.W. Geißendörfer, Margarete von Trotta und Peter Greenaway. 1999 gab´s die Auszeichung zum deutschen Shooting Star des europäischen Films und den silbernen Bären für Aimée und Jaguar unter der Regie von Max Färberböck, worin sie zur Nazizeit die lesbische Jüdin Felice Schragenheim (Jaguar) verkörpert. Felice nannte sie bezeichnenderweise ihre Tochter aus der Beziehung mit Regisseur Rainer Kaufmann (siehe Kritik zu seinem letzten Film (nach Martin Walser) Ein fliehendes Pferd auf intimacy: art), mit der Maria Schrader heute in Berlin lebt. 2008 spielt sie in der Tatort-Folge Borowski und das Mädchen im Moor, sowie im Mai und Juni am Schauspiel Köln in Yasmina Rezas Der Gott des Gemetzels, und in Franz Grillparzers Das goldene Vlies (beides Regie: Karin Beier).

Zur Kritik von Maria Schraders Filmregie-Erstling Liebesleben click: FILM: "LIEBESLEBEN" VERFILMT VON MARIA SCHRADER NACH SHALEVS SEXROMAN


Wie aus Abwehr Anziehung wird. Und umgekehrt.

intimacy-art: Ich habe Ihre Verfilmung von "Liebesleben" gerne ertragen, während ich den Roman nach 3/4-tel Lektüre weglegen mußte. Nicht weil er schlecht oder unspannend geschrieben ist, sondern weil mir Jara, eine Frau, die sich so demütigen läßt, mißfiel. Warum haben Sie den Promotionjob und damit das Buch zuerst weggelegt?
MARIA SCHRADER: Das Buch habe ich überhaupt nicht weggelegt. Im Gegenteil. Das Angebot, es in einer Lesereise mit der Autorin Zeruya Shalev zu promoten, hatte gar nichts mit meinem Empfinden für den Inhalt zu tun, den ich zu diesem Zeitpunkt ja gar nicht kannte. Da ich weder von dem Buch, noch von der Autorin je etwas gehört hatte, ließ ich absagen.
intimacy-art: Weil die Autorin zu unbekannt war?
SCHRADER: Nein, weil man viele Angebote bekommt und nicht alle annehmen kann; bei zehn Tagen Arbeitseinsatz überlegt man sich das schon genauer. Gott sei Dank schickte mir der Verlag aber dennoch das Buch, mit der Aufforderung, erst einmal reinzuschauen, sonst würde man die Absage nicht akzeptieren. Ich schlug also das Buch auf und konnte es nicht mehr aus der Hand legen. Also ganz im Gegensatz zu Ihnen. Ich mußte es in einem Zug durchlesen. Ich habe auch nicht - wie Sie - Jaras Sich-einlassen auf diese Liebe als Erniedrigung empfunden.
intimacy-art: Die Erklärung für die ablehnende Reaktion ist möglicherweise, dass man als Betrachter eigene, ähnlich gelagerte Erfahrungen damit verbindet. Man geniert sich später für Dinge, die man während des Erlebens vielleicht aufregend fand, weil man noch nicht wußte, was sie bedeuten. Das negative Gefühl geht meiner Ansicht nach vom Charakter des Arie aus, der im Film noch eindeutiger als Negativtyp dargestellt wirkt. Haben Sie das bewußt so gemacht?
SCHRADER: Nein. Arie ist sicher eine Figur, die Menschen abstoßen kann. Das verstehe ich auch. Ich selbst habe aber ein großes Gefühl für ihn; schon beim Lesen des Buches und dann auch beim Machen des Films. Mich berührt er. Ich halte ihn für um vieles fragiler, unfreier, viel armseliger als er sich gibt. Und jedes Mal, wenn ich hinter diese Fassade schaue, berührt er mich tief.

Warum sich Frauen Männer suchen, die sie entmachten

intimacy-art: Das merkt man eigentlich nicht sehr, besonders nicht gegen Ende des Films: da scheint er ein echter Egoist zu sein. - Worauf führen Sie es zurück, dass man sich als unerfahrene Frau - und in Ihrem persönlichen Fall also auch als erfahrene Frau - von Männern angezogen fühlt, die einen völlig entmachten?
SCHRADER: Ähm (lange Pause) - die Geschichte zwischen Jara und Arie kann ich nicht verallgemeinern. Ich bin nicht per se von jemandem angezogen, der mich schlecht behandelt. Und ich empfinde diese Liebesgeschichte in Bezug auf Jara auch nicht als masochistisch. Sondern ich nehme Jara als starke Person wahr, die alles, was sie tut, bewußt macht. Sie kriegt genau mit, was passiert und entscheidet sich jedes Mal wieder aufs Neue dafür, dass das eben Erlebte nicht das Ende der Geschichte ist. Daraus rührt eine ganz große Kraft. Viele Menschen würden nach dieser ersten Begegnung bei Arie zuhause (Anm. Red.: Arie nimmt die ihn besuchende, unbekannte Jara ohne Vorspiel von hinten und schmeißt sie dann raus.) sagen, "du, damit will ich überhaupt nichts zu tun haben! Du siehst mich nie wieder!"; Jara dagegen möchte es wissen: wer dieser Mann ist, warum er sie so fasziniert. Sie bekommt auch Antworten, setzt viel aufs Spiel, begibt sich in Gefahr. Das zeugt von großer Stärke. Außerdem sollte doch jede Frau, jeder Mensch das Recht haben, sich verführen zu lassen. Und was in Jaras Leben zerbricht, das ist ja vielleicht schon längst kaputt, ohne dass sie es gemerkt hat. Dabei ist Arie jemand, der Gefühle in ihr weckt. Sehr positive und auch sehr negative, aber auf jeden Fall große, leidenschaftliche Gefühle, denen sie sich nicht entziehen kann. Vielleicht spürt sie dadurch überhaupt das erste Mal, wie sehr sie am Leben ist, mit Sicherheit aber mehr als zuvor.
intimacy-art: Muss jeder Mensch diese Erfahrung machen, sich zumindest einmal der Gefahr auszuliefern und dabei alles zu verlieren, um zu wissen, worum es ihm / ihr im Leben und in der Liebe geht?
SCHRADER: Jede Erfahrung macht uns reicher. In diesem Fall verliert Jara, und sie gewinnt. Sie gewinnt viel: eine neue Art von Freiheit, die sie vorher nicht kannte; Kenntnis darüber, wer sie ist, warum sie es ist, was sie in ihrem bisherigen Leben gefesselt hat. Und das ist etwas, was eventuell sogar mehr Bestand hat, als eine leidenschaftliche oder glückliche Affaire. Sie ist ja auf der Suche nach Aufschluß über sich selbst. Ich glaube, dass es in jedem Leben immer wieder Momente gibt, wo man auf einer Art von Kreuzung steht, einer Weiche, wo man sich entscheiden muss. Und wo man ganz unwillkürlich spürt: egal, wie ich mich entscheide, es wird etwas verändern. Das sind jene Begegnungen, die sich als Aufgaben im Leben erweisen, an denen man wächst oder denen man sich aus Angst entzieht: weil sie einem das Gefühl von Unsicherheit vermitteln. Egal an welche unsichere Phase meines Lebens ich selbst zurück denke, wo ich nicht wußte, wie es jetzt weiter gehen würde - im Nachhinein sind das immer lebendige Momente, Kraftquellen, gewesen. Wahrscheinlich, weil man sie überstanden hat, und weil man gelernt hat, dass man nicht zwangsläufig untergeht, wenn die Welle über einem ... (lacht).

Suche von Wahrheit und Liebe durch Erbschuld

intimacy-art: Diese Unsicherheit, diese Verwirrung - die empfand ich ja auch als anregend und spannend dargestellten Lustreiz im Film: durch die Umsetzung der Kamera und des Filmtempos, Jaras Fantasiebilder der Angstvision ...
SCHRADER: Ja, denn es geht um Instinkte, nicht? Man soll Jaras suchenden Gedanken spüren, worin sie sich fragt, "warum ist das so?" - Darum geht es vielleicht wirklich: Warum verliebt man sich in den einen Menschen und nicht in den anderen? Das kann man immer nur ein Stück weit erklären, nicht bis zum Ende. So frage ich auch: "Warum bringt mich selbst ausgerechnet dieses Buch Liebesleben dazu, meinen ersten Film zu machen und nicht irgendein anderes Buch, das ich gelesen habe?" In solchen Begegnungen gibt es immer etwas Räselhaftes, von dem auch dieser Film handelt und das man nur zum Teil wirklich erklären kann. Und natürlich liegt ein Geheimnis in der Faszination für Arie darin, dass er etwas weiß, was Jara nicht weiß: Dass er eine Schlüsselfigur innerhalb ihrer Familie ist. Das ahnt sie nur: Dass er vielleicht sogar den Schlüssel hat, zum Geheimnis ihres Lebens.
intimacy-art: Und genau das habe ich aber als negativ empfunden: dass er bei ihr eigentlich Jaras Mutter im Kopf hat. Es ist doch das Allerschlimmste am Ende einer Beziehung, wo es so viel Leidenschaft gegeben hat, darauf zu kommen: nicht ich war gemeint, sondern die Leidenschaft des Geliebten galt jemand anderem - ich war nur das Medium, das Transportmittel, der Projektionsfilter. Das fand ich im Film auch sehr auf den Punkt gebracht, während ich es im Buch überhaupt nicht so interpretierte. Im Buch glaubte ich eher, dass Arie Jara als Persönlichkeit wollte.
SCHRADER: Dieser Moment, wo sie das denkt, ist ja nur eine Station. Damit ist der Film nicht zuende, und auch nicht Jaras Geschichte mit Arie. In Wahrheit schafft sie es ja, ihn und an sein Herz zu rühren. Sie dagegen kann sich in dem Moment von ihm befreien, wo er ihr verfällt. - Das ist natürlich auch eine Art Gesetz des Lebens.
intimacy-art: Ich sah als grundlegendes Gesetz der Geschichte eher den "Schuld und Sühne"-Gedanken innerhalb der eigenen Familie. Es ist ein religiöser Gedanke, den man auch im Theater immer wieder findet: Was die Eltern verbrechen, so wie ihre Instinkte sie fehlleiten, müssen die Kinder mit gleicher Gene ausbaden.
SCHRADER: Es geht um Erbschaften, natürlich. Um die Frage: Warum bin ich, wie ich bin? Und welches Geheimnis gibt es, das ich nicht kenne? In Jaras Fall ist es ein Familiengeheimnis, das giftig ist. Denn tatsächlich ist es nicht die Suche nach Glück oder nach gutem Sex, die Jara antreibt, sondern die Suche nach Wahrheit. Und diese Wahrheit befreit sie am Ende. Deshalb ist es für mich doch eine sehr positive Geschichte. Und Arie wird in seinem ganzen Nimbus am Ende auch nur zu einem Menschen mit vielen Problemen.

Vom Drang eines Kreativen zum grossen (vergänglichen) Erlebnis wegen seiner Kunst

intimacy-art: Ein kreativer Mensch wie Jara kann und muss alles familiär und partnerschaftlich Erlebte in seiner Kunst oder Wissenschaft umsetzen. So habe ich diesen Film auch - auf Sie bezogen - als persönliches Bekenntnis gelesen: Sie selbst haben den Film Ihrem Kind Felice gewidmet, hatten Lebensabschnittsbeziehungen mit außergewöhnlichen Filmemachern wie Dani Levy und Rainer Kaufmann, aus denen Sie jedes Mal für sich selbst als Künstlerin in Ihren Arbeiten profitierten. - Da aber nun beide Beziehungen vergänglich waren: Ist es der traurige Aspekt eines Künstlerlebens, einkalkulieren zu müssen, dass alles zu Ende geht?
SCHRADER: Heieiei (lacht) heieiei ..., also: die Liebe ist kaum berechenbar. Ob man Künstler ist oder nicht, Garantien für Glück gibt es nicht. Und wenn es sie gäbe, dann wäre die Liebe vielleicht auch nicht das, was sie ist.
intimacy-art: Mhm, Sie sind also so drauf, dass Sie sagen: "Das Leben kann mich immer wieder überraschen, ich nehme es so, denn letztenendes geht es um mich?"
SCHRADER: Ich glaube, in Wahrheit geht es um Erlebnis. Darum, das Leben zu spüren. Und das verläuft immer in Phasen. Ob dabei nun die Liebe das vordergründige Thema ist oder die Arbeit - das Glück lässt sich dabei nur finden, wenn man sich im Hier und Jetzt befindet. Darin, womit man sich beschäftigt, muss man sich versenken können.
intimacy-art: Hat man mit dem Fortschreiten der Phasen dann aber noch einen Traummann? Etwa Jaras Ehemann Joni, der ja eigentlich mit seiner bemühten Aufmerksamkeit ein sehr positiver Charakter ist? Schon weil Sie im Film im Gegensatz zum Buch offen lassen, ob die Beiden eventuell wieder zusammen kommen? Wäre er für Sie das Ideal von einem Mann?
SCHRADER: Der Joni? - Nein, der Joni ist für mich kein Ideal von einem Mann.
intimacy-art (lacht): Damit wissen wir also definitiv, in welche Richtung Ihr Traummann geht ...
SCHRADER: (lacht)















(Gespräch vom 3.12.2007, geführt von ELFI OBERHUBER, in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)