Wednesday, September 13, 2006

"Der Rainer hat mich nach Ängsten gefragt" Teil 2


ARNULF RAINER & HER- MANN NITSCH im zweiten Teil des "Gesprächs" über das Altern mit einer fast schweigenden ELFI OBERHUBER. - Für weitere Einführung und Teil 1 scroll down.

Kurzprofil ARNULF RAINER 8.12.1929 in Baden / Wien geboren (Schütze), gilt als "der" international bekannteste österreichische Maler der Nachkriegszeit. In den frühen Sechzigern begann er mit "der Malerei, um die Malerei zu verlassen". Zuvor war er dem Fantastischen Realismus zugewandt, der ihn aber nicht befriedigte. Seine Studien an den Wiener Kunst-Hochschulen brach er nach wenigen Tagen ab. Auf der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten ("Blind-Malereien") entstanden viele Variationen seines Übermalungskonzeptes, die von Grimassenfotos über expressive Fingermalereien bis zu Kreuzserien reichen. Bis 1995 war Rainer Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien. 1993 wurde das Arnulf Rainer Museum in New York eröffnet. Zur Zeit stellt Rainer bis 4.3.2007 sämtliche Plakat-Originalentwürfe im Wiener Museum für Angewandte Kunst aus.

Photo: Arnulf Rainer (© Gai Jeger)

Zwei einsame alte Herren?

RAINER: Ein klassisches Problem ist sicher die Einsamkeit des alternden Künstlers.
NITSCH: Ja, obwohl ich eigentlich immer bekannter werde, Erfolg habe und gleichzeitig noch immer Ablehnung vorhanden ist, habe ich das Gefühl, immer einsamer zu werden. Die alten Freundschaften sind nicht mehr zu pflegen, einerseits wegen geografischer Umstände, andererseits wegen der eigenen Krankheiten und der Krankheiten von Kollegen, die Flexibilität verhindern. Wir - Hartmann, Rühm, Brus, Oswald Wiener, etc. und ich - haben alle im Ausland gelebt. Hatte einer von uns in Berlin oder Stuttgart eine Ausstellung, fuhren wir alle hin. Oder wir trafen uns bei den Messen, was natürlich sehr schön war. Jetzt sind wir alle sehr einsam, auch weil es, leider Gottes, die Konkurrenz zwischen Künstlern gibt. Jeder hat sich sein Imperium aufgebaut, und sich vom anderen künstlerisch entfernt. Nur mit ein paar alten Freunden streitet man noch. Mein Haus ist zwar nach wie vor ein geselliges Haus, da ja viele Leute, Käufer, Bankleute, usw. nach Prinzendorf kommen, um mein Werk sehen zu wollen: Da spiele ich immer den Kasperl, was ihnen recht gefällt, doch die sehr schönen Feste sind verloren gegangen.
RAINER: Schließt Du keine neuen Freundschaften mehr?
NITSCH: Mit Jüngeren. Assistenten. Das ist oft sehr schön, aber mit den Lebensfreundschaften, wie man sie bis dreißig schließt, ist es, glaube ich, vorbei.
RAINER: Ich bin ein Hagestolz geworden. Es tut mir leid, dass ich keine engeren Freundschaften mehr schließen, auch keine große Bindungen mit Frauen mehr eingehen kann. Mir ist die Klebe- und Dialogfähigkeit abhanden gekommen. Wenn mir aber jemand wichtig ist, geht das nicht so schnell an mir vorbei. Ich mache mir aber keine Illusionen darüber, den Weg der Einsamkeit gehen zu müssen. Höchstens die Kinder sind noch wichtig, was aber eine andere Beziehung ist. Du hast ja keine Kinder.
NITSCH: Ich habe keine eigenen Kinder, aber einen Pflegesohn, zu dem ich geografisch keine enge, aber eine sehr herzliche Beziehung habe. Er lebt in Kassel.
intimacy-art: Sind Sie verheiratet oder haben Sie eine Lebensgefährtin?
NITSCH: Ich bin verheiratet.
intimacy-art: Und Sie?
RAINER: Ich bin nicht verheiratet, nein.
intimacy-art: Und waren es auch nie?
RAINER: Ich war drei- oder viermal verheiratet und hatte immer Traum-Scheidungen ohne Streit...


Zwei ängstliche alte Herren?

RAINER: Hast Du irgendwelche Perspektiven?
NITSCH: Da ich ja bis heute mein Jugendwerk verwirkliche, hoffe ich, dass das Ganze aus den groben Skizzen, die ich als Zwanzigjähriger gemacht habe, wächst wie ein Baum. Damals hätte ich die Fähigkeiten zur völligen Realisation noch nicht gehabt.
RAINER: Ich achte eher darauf, noch etwas Neues zu machen. Vielleicht wird die Nachwelt über meine Kunst einmal sagen, "das ist ein Baum mit einem gemeinsamen Stamm", beabsichtigt ist es von mir jedoch nicht. Nitsch, was hast Du aber für Ängste?
NITSCH: Ängste wegen der Gesundheit: Wenn ich erfahre, dass jemand in meinem Bekanntenkreis die und jene schreckliche Krankheit hat, bekomme ich zumindest leichte Symptome in der Richtung. Ich trage daher stets irgendwelche Leiden mit mir herum, bei denen ich furchtbare Angst habe, dass sie zu etwas Schrecklichem ausbrechen. Das hat mich mein ganzes Leben gequält.
(Das Handy der Journalistin läutet)
NITSCH: Und vor Handys habe ich auch Angst.
intimacy-art: Oberhuber? Ah, Frau Nitsch!
NITSCH: Was habe ich wieder angestellt?
intimacy-art: Nanu, woher haben Sie meine Nummer? - Ja, Moment. Für Sie.
(Gibt Nitsch das Handy, seine Frau möchte ihn sprechen)
NITSCH: (spricht hinein) Gerade hat mich der Rainer gefragt, ob ich Ängste hätte. Hallo? Na, na, das hätte ich nie gesagt. Aber dann hat das Handy geläutet und schon hat´s mich getroffen! Was gibt´s?... Ja, das geht sich aus. Wie lange sind sie denn da? Ja, ja. Und die lassen mich dann eh in Ruh, und werden mich dann nicht behelligen?! Ich habe am Abend einen Termin, da gehe ich hin, das geht sich also aus. Gut. Also, Wiedersehen!


Und an der "wenig originären, nur nachahmenden Künstlerjugend" stoßen sich Rainer und Nitsch in Teil 3
(Interview-Auszug vom Oktober/2001, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch) über
intimacy-art@gmx.at)

Friday, September 08, 2006

"Nitsch, wie alt bist Du jetzt?", Teil 1


Photo: Hermann Nitsch (© Gai Jeger)

Nachlassende Energie, Vigilanz, Körperbeherrschung, der Tod machen auch vor Österreichs Meistern der Kunst keinen Halt. ARNULF RAINER und HERMANN NITSCH nehmen es aber mit Humor - wie im ersten Teil des "Gesprächs" mit einer schweigenden ELFI OBERHUBER.

Kurzprofil HERMANN NITSCH, geb. am 29.8.1938 (Sternbild Jungfrau) in Wien, ist international durch sein - sich der Passion Christi und dem Dionysos-Mythos anlehnendes - "Orgien-Mysterien-Theater" bekannt, bei dem durch ästhetische Ersatzhandlungen wie das Töten eines Tieres Triebe durchbrechen. Bereits während seines Studiums an der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt Wien entwickelte Nitsch "den Kunstbegriff eines orgiastischen, alle Sinne ansprechenden Festes, das Kunst und Leben verbindet", realisiert in kultisch-religiösen Malaktionen prozesshaften Charakters. Die Bildtafeln und Objekte Nitschs kennzeichnen die Verbindung von Regelbefolgung durch Inszenierung und Ekstase durch explosionsartigen Ausdruck. Nitsch hatte bis 1995 eine Professur in Frankfurt. Derzeit stellt er bis 11.11.2006 in der Galerie Mike Weiss in New York, und von 29.11.06-22.01.07 im Rahmen einer großen Retrospektive in der Nationalgalerie Berlin aus.


Hypochonder Nitsch und Bettflüchtling Rainer


ARNULF RAINER: Ich habe mir gedacht, wir sprechen über das Alter.
intimacy-art: Haben Sie sich ein ganzes Konzept überlegt? - Ich hätte nämlich auch eines. - Ich darf aber schon auch das eine oder andere fragen?
HERMANN NITSCH: Das sollen Sie auch.
(Das Telefon läutet, Rainer geht kurz raus.)
intimacy-art:
Sonst wird´s ja vielleicht etwas einseitig, wenn einer alles bestimmt.
NITSCH: Darüber mache ich mir keine Sorgen.
(Rainer kommt zurück.)
RAINER: Also, Nitsch, wie alt bist Du jetzt?
NITSCH: 63 (Anm. zum Zeitpunkt des Gesprächs).
RAINER: Ich geh ja schon auf die 80 zu und habe täglich Probleme: Mein Hauptproblem ist die nachlassende Energie, Vigilanz und Assoziationsflüssigkeit. Auch bei Dir habe ich gesehen, dass Du delegierst und Deine Kübel gar nicht mehr selbst trägst. Wirst Du ehrgeiziger und machst Du mehr, oder weniger?
NITSCH: Nach meiner bisherigen Erfahrung erfordert jedes Lebensalter dieselbe Energie, wobei jeweils andere Probleme zu bewältigen sind. Abgesehen davon war ich immer schon ein Hypochonder: Ich muß bis heute mit einer Herzneurose leben, die mir nie ermöglicht hat, Sport und Bergtouren zu machen.
RAINER: Hast Du nicht tatsächlich ein Problem mit dem Herzen?
NITSCH: Mit zunehmendem Alter wird die Neurose sicherlich organisch überlagert. Vordergründig ist es aber noch so, dass ich zwar in den fünften Stock steigen kann, mir aber danach Sorgen mache, ob es mir nicht geschadet hat. Meine Energie läßt aber nicht nach. Ich bin zum Beispiel ein furchtbarer Schnarcher...
RAINER: Das spricht für Energie.
NITSCH: Das bringt aber mit sich, dass man im Blut sauerstoffarm ist. Wenn man sich in der Folge nicht konzentrieren muß, schläft man ein. Ich schlafe im Zug, im Auto, im Flugzeug und schlafe auch, wenn mich ein Gespräch langweilt.
RAINER: Also ich habe immer weniger Schlafbedürfnis. Ich komme mit vier bis fünf Stunden aus, wache um vier/fünf Uhr früh auf und habe dabei Angst, die anderen Leute aufzuwecken. Das nennt man "senile Bettflucht".
NITSCH: Ich würde mir diese senile Bettflucht wünschen, weil ich dann mehr leisten könnte.
RAINER: Das kommt bei mir wohl daher, weil ich nach vier Uhr nachmittags nichts mehr esse. Dadurch habe ich einen leeren Magen und bekomme einen viel tieferen, jedoch kürzeren Schlaf. Tagsüber fehlt mir trotzdem die Energie, was dazu führt, dass ich keine Großformate mehr, sondern Kleinformate bearbeite oder weniger mache. Ich organisiere mich nach den Möglichkeiten meines Körpers.
NITSCH: Darüber kann ich Gott sei Dank noch nicht klagen. Ich war immer so voller Energie, dass ich oft feiern mußte, um überschüssige Kraft los zu werden. Sonst wäre ich vielleicht ein schwerer Neurotiker geworden. Letztenendes sehe ich das Alter positiv: Als junger Mensch hat man keinen Einfluß und muß stets darum kämpfen. Ich habe heute mehr Fähigkeiten und Möglichkeiten, Dinge zu realisieren als damals.
RAINER: Durch Kanalisierung.
NITSCH: Ich kann heute zum Beispiel viel besser frei sprechen und fast ohne Konzept eine Stunde lang einen Vortrag halten. Früher mußte ich etwas trinken, um den Mund aufzubringen.
RAINER: Tja, Du bist wohl gescheiter geworden.
NITSCH: Der Begriff "weise" ist heute vielleicht nicht mehr zuträglich, aber irgendwie habe ich doch mehr Überblick und Übung bekommen: in der Möglichkeit, besser auzuwählen. Früher ist mir so viel gleichzeitig eingefallen, dass ich fast nichts heraus bekommen habe.
RAINER: Das ist die Assoziationsflüssigkeit: Wenn einem viel einfällt, fabuliert man. Die Fantasie geht manchmal mit einem durch. Wenn man arbeitet, hat man hundert Einfälle und muss sich für etwas entscheiden.
NITSCH: Und wie man an meiner Arbeit sieht, fällt mir meiner Ansicht nach immer das Richtige ein.


Verbrauchte Künstler sehen am besten

RAINER: Mein Problem war immer auch, die Vigilanz zu halten, sprich mich auf ein gewisses Aufmerksamkeitsfeld zu konzentrieren. Kannst Du über mehrere Stunden etwas lesen?
NITSCH: Ich lese immer stehend, weil ich mich dabei besser konzentrieren kann. Beim Sitzen könnte die Möglichkeit bestehen, dass ich einschlafe. Ich lese auch sehr viel beim Spazierengehen. Da nehme ich mir schwerst zu lesende Bücher mit.
RAINER: Wegen der frischen Luft... Und wie gehts Dir mit der Sensibilität: Ist sie größer oder gröber geworden?
NITSCH: Das ist schwer zu beurteilen. Wir wissen ja alle, wie es mit den Alterswerken großer Meister ist. Vasari ließ Tizian fallen und meinte, der könnte nichts mehr. Dabei sind aber die späten Tizians die schönsten. Auch bei Beethoven waren die späten Streichquartette, bei Monet die Seerosen, bei Mahler die Zehnte Symphonie, bei Schubert die Winterreise - also die Todeswerke, wo diese Leute entweder sehr alt oder sehr verbraucht sind - am großartigsten. Man wirft ihnen aber gleichzeitig immer weniger Sensibilität oder ein Fehlen der Empfindung vor.
RAINER: Auf jeden Fall. Es gibt ja das Gerücht, dass Monet im Alter schlecht gesehen, aber trotzdem keine Brille getragen hätte, um den verschwimmenden Eindruck zu erhalten.
NITSCH: Mein Sehvermögen hat sich auch verschlechtert. Früher trug ich keine Brille. Ich sah jeden Stern und das Reiterlein. Kleine Schriften kann ich ohne Brille nicht mehr lesen.
RAINER: Bei mir verschwimmt alles, ich versuche das aber auszunutzen. Ich schaue, dass ich bei ein und demselben Bild den Wechsel zwischen mit und ohne Brille auskoste. Durch die Abwechslung schaffe ich Sachen, die mir zuvor nicht gelungen sind. Wenn ich schlechter sehe, sehe ich das Gesamtbild besser. Sehe ich gut, verliere ich mich dagegen im Detail. Dadurch kommt mir vor, dass ich im Alter sensibler, milder und sogar farbenfroher werde. Nur kann man das selber schwer beurteilen.

Und um "die Einsamkeit im Alter" geht es in Teil 2 auf dieser Seite (oben)!
(Interview-Auszug vom Oktober/2001, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)