Sunday, December 10, 2006

"Es gibt nur eine neue Chemie", Anne Teresa De Keersmaeker, Teil 3


Anne Teresa De Keersmaeker (© Piet Goethals)


Die belgische Choreografin ANNE TERESA DE KEERSMAEKER spricht mit ELFI OBERHUBER im letzten Teil über Tanz, der "nur durch Individuen gut wird". In ihrem aktuellen Gastspiel in Wien, Mozart / Concert Arias sind das die Männer und Frauen ihrer Company. Für Teile 1+2, scroll down!

intimacy-art: Zur Bewegungsweise in den Mozart-Arien: Hat sich gegenüber der 1992-Version etwas geändert?
KEERSMAEKER: Meine Schreibweise der Komposition hat sich nicht verändert. Die Anzahl der Darsteller ist gleich, nur der Großteil der Tänzer ist neu. Halte ich ein Stück für gut, ist es immer so, dass die Tänzer ihre eigene Geschichte aus dem Geschriebenen machen. Auch in der Musik findet eine Gruppe nur so zu ihrem indivduellen Ausdruck. Das macht den Unterschied zwischen 1992 und 2006 aus.
intimacy-art: Sind deren Charaktere anders?

KEERSMAEKER: So wie Tanz nur in Persönlichkeiten verankert sein kann. Mit dem Wechsel der Performer verändern sich diverse Balancen.
intimacy-art: Glauben Sie generell, dass sich die Tänzer über die Generationen verändert haben? Gerade weil Sie auch so viel mit Tanzschülern zu tun haben?
KEERSMAEKER: Es gibt verschiedene neue Akzente, hauptsächlich resultieren aber auch die aus den verschiedenen Naturen der Individuen. Ich würde das daher nicht als Wesen der "anderen Generation" bezeichnen. Es gibt nur eine andere Chemie.
intimacy-art: Ist es einmalig für Sie, mit Live-Orchester und Live-Sängern, die mit den Tänzern gemeinsam auf der Bühne sind, zu arbeiten?
KEERSMAEKER: Es ist sehr anders von dem, wie ich sonst arbeite. Die Sänger sind literarisch und physisch Teil der Geschichte und damit eine Herausforderung für mich.
intimacy-art: Mögen Sie dieses Stück noch, ganz ehrlich?
KEERSMAEKER: Sehr. Sonst käme es nicht mehr auf die Bühne.




Rosas in Mozart / Concert Arias - Un moto di gioia (© Herman Sorgeloos)

(Interview-Auszug vom 27.11.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

"Expressivität ist nicht ausdrücklich weiblich", Anne Teresa De Keersmaeker, Teil 2


Rosas in Mozart / Concert Arias - Un moto di gioia (© Herman Sorgeloos)

Die belgische Choreografin ANNE TERESA DE KEERSMAEKER spricht mit ELFI OBERHUBER im zweiten Teil über die Beziehung von Mann und Frau. In ihrem aktuellen Gastspiel in Wien, Mozart / Concert Arias tanzen die Männer für Keersmaeker ungewöhnlich "männlich".


Ohne Mann-Frau-Unterschied gäbe es kein Leben

intimacy-art: Nun gibt es eine Sache, die ich nur in Ihren Stücken finde: dass Männer oft Frauenkleider tragen und die gleichen Choreografien und Schritte tanzen wie die Frauen. Ich sehe in Ihrer choreografischen Struktur bei Mann und Frau kaum geschlechtliche Unterschiede.
KEERSMAEKER: Das stimmt nicht. Gerade in den Mozart Arias gibt es absolut typisches Vokabular für Männer und Frauen. Das meiste Vokabular wurde aber von den Tänzern und Tänzerinnen selbst entworfen, das sie dann auf einander übertrugen.
intimacy-art: Aber bei Ihnen persönlich interpretiere ich es in den letzten Jahren so, dass Sie den Wunsch haben, Männer ein wenig dazu zu zwingen, die Bewegungsweisen - und damit die Denkensweise - von Frauen zu übernehmen. In den letzten Jahrhunderten war das ja nie der Fall, ganz besonders im klassischen Ballett, wo der männliche Tänzer immer den Prinzen darstellt, mit entsprechend männlichem Ausdruck. Jetzt, wo Sie mit Ihrem Tanz in den klassischen Bereich eindringen, könnte das verändert und erweitert werden.
KEERSMAEKER: In der Geschichte des zeitgenössischen Tanzes, im modernen, postmodernen und Tanz der letzten 30 Jahre, haben sich diese Rollen doch bei sehr vielen Leuten verändert. Das mache nicht ausschließlich ich.
intimacy-art: Ja, in der zeitgenössischen Szene. Aber seitens Ballett hört man ja im Extremfall sogar Klatsch über "lesbischen Keersmaeker-Stil". Wenn daran etwas stimmt, dann ist es die Stimmung der Fraulichkeit in Ihrem Tanz. Im Ausdruck und in der Art des Inhalts, der Männern manchmal nichts gibt, weil sie ihn nicht erkennen (verstehen) können.
KEERSMAEKER: Ich bin nun mal eine Frau, mit der Sensibilität, dem Körper, der Energie einer Frau. Das läßt sich nicht verleugnen. Ich bin andererseits aber auch keine Choreografin, die alle Bewegungen vorgibt, sondern die Tänzer entwickeln viel Material selbst. Das kommt daher nicht nur von mir.
intimacy-art: Vielleicht auch, da viele männliche Tänzer Ihrer Kompagnie ausgesprochen expressiv sind, wenn nicht sogar weiblich expressiv. Igor Shyshko hat zum Beispiel eine ganz leidenschaftliche Art, sich zu bewegen, ohne aber schwul zu wirken. Suchen Sie sich extra Männer, die diese Komponente in sich tragen?
KEERSMAEKER: Sicher nicht als generelle Bedingung. Es hängt von allem Möglichen ab. Wir haben ganz verschiedene Tänzertypen in der Kompagnie. Männer und Frauen haben verschiedene Eigenschaften. Manche sind ausgesprochen expressiv, andere sind wieder ganz anders.
intimacy-art: Mögen Sie es aber, wenn die Tänzer in beide Rollen schlüpfen können?
KEERSMAEKER: Abgesehen davon, dass ich Expressivität als etwas nicht ausdrücklich Weibliches sehe, ja. Das zu sagen, fände ich ...
intimacy-art: ... zu oberflächlich.
KEERSMAEKER: Ja.
intimacy-art: Kann man insgesamt dennoch sagen, dass all die Schwierigkeiten und Unterschiede im natürlichen Wesen von Mann und Frau zu einer Spannung und Kraft führen, woraus wir letztlich gewinnen, ganz besonders in der Kunst?
KEERSMAEKER: Da der Unterschied zwischen Mann und Frau überhaupt erst das Leben schafft, sicher, und die Kunst hat dem zu gehorchen. Konflikt und Vereinigung sind die Basis von allem.

Lesen Sie in Teil 3 des Gesprächs auf dieser Site: Warum bei Keersmaeker das Individuum vor "Mann" und "Frau" kommt.
(Interview-Auszug vom 27.11.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)

"Ich sehe Mann und Frau heute abstrakter", Anne Teresa De Keersmaeker, Teil 1


Anne Teresa De Keersmaeker, 2004 (Foto © Tina Ruisinger)


Die belgische Choreografin ANNE TERESA DE KEERSMAEKER spricht mit ELFI OBERHUBER über die schwierige Beziehung von Mann und Frau. In ihrem aktuellen Gastspiel Mozart / Concert Arias mit ihrer Tanzcompany Rosas, den Wiener Symphonikern und Sängern in Wien ist jene ausnahmsweise auch harmonisch.

Kurzprofil ANNE TERESA DE KEERSMAEKER: Geboren am 11.6.1960 in Mechelen / Belgien (Sternbild Zwillinge), besuchte die flämische Choreographin von 1978 bis 1980 Maurice Béjarts Brüsseler Mudra-Tanzschule. 1981 studierte sie an der Tisch School of the Arts in New York. Ihre erste Produktion, Asch, präsentierte sie 1980 in Brüssel. Nach ihrer Rückkehr aus den USA folgte 1982 die Choreografie Fase. 1983 gründete sie ihre eigene Tanz-Kompanie, Rosas, mit der sie gleich mit dem ersten Werk international durchstartete. Das Kaaitheater in Brüssel bot ihr in den 1980ern einen Aufführungsort für ihre Arbeiten. 1992 wurde De Keersmaekers Kompanie Rosas nach Ballettdirektor Mark Morris als ständige Kompanie an Brüssels Oper, Théatre Royal de La Monnaie, aufgenommen. 1995 gründeten De Keersmaeker und das Théatre Royal de la Monnaie die internationale Schule für modernen Tanz P.A.R.T.S. (Performing Arts Research & Training Studio), die die durch den Umzug von Béjarts École Mudra nach Lausanne entstandene Lücke füllen sollte. 2007 wird nun die Zusammenarbeit mit der Brüsseler Oper beendet - das Interview mit Keersmaeker zur aktuellen Lage ist in aKtuell/REALNEWS/INTERVIEW nachzulesen.

In Österreich ist Rosas seit Jahren bei ImPulsTanz zu Gast, und in der Kooperation mit dem Theater an der Wien war sie zuletzt 2006 als Rosas & Wiener Symphoniker mit Mozart/ Conzert Arias - Un moto di gioia am Theater an der Wien zu sehen, und am 17.+19.6.2008, 20h tritt sie mit ROSAS und dem live- Ictus Ensemble im Programm Steve Reich Evening auf.


Rosas in Mozart / Concert Arias - Un moto di gioia (Foto © Herman Sorgeloos)


Mann - Frau = Vertikale - Horizontale


intimacy-art: Ihr Mozart-Stück "Concert Arias" handelt Keersmaeker-typisch von Beziehungen zwischen Mann und
Frau. Hat sich Ihr Blick über die Jahre verändert?
ANNE TERESA DE KEERSMAEKER: Es ist wahr, die Mann-Frau-Beziehung bleibt ein zentrales Thema. Ich blicke heute aber abstrakter darauf. Schon da die choreographische Erarbeitung auf Organisation von Zeit und Raum in vertikaler und horizontaler Richtung beruht.
intimacy-art: Sind Horizontale und Vertikale mit Mann und Frau gleich zu setzen?
KEERSMAEKER: Die Vertikale entspricht eher der männlichen Energie, die Horizontale der weiblichen. Eine Art Himmel und Erde als antagonistische (gegensätzliche) und komplementäre (sich gegenseitig ergänzende) Kräfte. Eine extrem simple Ausgangsbasis, die gerade wegen dieser Einfachheit zu höchster Komplexität anwachsen kann.
intimacy-art: In Ihren letzten Stücken "Raga for the Rainy Season" und "D´un soir un jour" waren die Beziehungen zwischen Mann und Frau ziemlich schwierig. In den viel früheren "Mozart / Concert Arias - Un moto di gioia" (aus dem Jahr 1992) sind sie dagegen viel lustiger und leichter. Sind Sie als Choreografin kämpferischer geworden?
KEERSMAEKER: Also, ich weiß nicht ...
intimacy-art: Halten Sie die Beziehungen in den "Mozart-Arien" zumindest für unbeschwerter?
KEERSMAEKER: Nein. Sie "sind" einfach Mozart. Mozart transportiert in seiner Musik eine sehr spezielle Einstellung zu Männern und Frauen. Das zeigt sich auch in seiner Achtsamkeit gegenüber Schönheit und Harmonie. Zum Beispiel in einigen der Da-Ponte-Arien ist immer im höchsten Punkt von Traurigkeit, Einsamkeit, Schmerz eine Idee von Harmonie enthalten. So endet daher auch die Mann-Frau-Beziehung in Harmonie. Selbst die elipsoide Form der Bühne steht dafür, ein Kreis mit zwei Zentren, als Raum der Einheit für die"Zwei-heit". Sprich für die erkennbar präsenten Dualitäten von Mann und Frau.
intimacy-art: Skulpturkünstler Markus Lüpertz hat in seiner Mozart-Figur, Halb-Mann, Halb-Frau, auch das harmonische Ganze "Mozart" vereint.
KEERSMAEKER: Ah, ja. Harmonie zwischen Mann und Frau wird auch in unserem Stück ausdrücklich formuliert - zum Beispiel in der Zauberflöte zwischen Pamina und Tamino: Dass danach zu streben sei und was die Schwierigkeit dabei ist. Dahinter liegt der prinzipielle Glaube an die Liebe von Mann und Frau als himmlisches Geschenk. Ich denke, das war eine tiefe Sehnsucht Mozarts.
intimacy-art: Daher lebte er auch selbst die Liebe wie kein anderer. Seine Briefe an seine Frau bezeugen es.
KEERSMAEKER: Absolut.

Lesen Sie in Teil 2 des Gesprächs auf dieser Site: Wie A.T. De Keersmaeker Männer zum weiblichen Tanz bringt.
(Interview-Auszug vom 27.11.2006, volle Länge in Print (Deutsch + Englisch) / Audio (Englisch) über intimacy-art@gmx.at)