Tuesday, August 14, 2007

Katrin Hiller zu Susanne Ayoub: "Sarah Kanes Absolutheitsanspruch endete im Tod"








Der Tod als
Umkehrung der Liebe. Für zwei junge, begabte Frauen war der Tod reizvoller. Für Sarah Kane, bereits zu Lebzeiten britischer Star unter den
Dramenschreibern, und Flora S., Langzeit-Geliebte des Malers und Bildhauers Alfred Hrdlicka. Beinahe gleichzeitig nahmen sie sich Anfang 1999 das Leben.



Susanne Ayoub und Katrin Hiller (photo-Faksimile © Niki Similache)


Regisseurin KATRIN HILLER, die Kanes Stück Gier 2000 am Wiener Burgtheater inszenierte, und Autorin SUSANNE AYOUB, die die im Molden-Verlag erschienene Reportage Alfred Hrdlicka und der Fall Flora verfaßte, sprechen anhand ihrer Arbeiten über Motivation und Seelen der beiden Frauen. Besonders Sarah Kanes psychische Verfassung macht die inneren Vorgänge transparent, die zuletzt einige österreichische Künstler in den vorzeitigen Tod getrieben haben müssen. Und ihre Dialoge zeigen voll von dichterischer Brillanz, woran es dieser Frau am meisten fehlte: Am Gefühl, geliebt zu werden.


Spotlight SARAH KANE (geb. 3.2.1971 in Essex (Sternbild Wassermann); † 20. Februar 1999 in London) hat fünf artistisch höchst virtuose und radikal-intensive Dramen hinterlassen: Zerbombt, Phaidras Liebe, Gesäubert, Gier und Psychose. Gesäubert wird vom 25.9.-30.9.2007 im Wiener WUK, Projektraum, 20h, unter der Regie von Jérôme Junod aufgeführt (Click zur: Kritik). Die Autorin schrieb es während ihres Aufenthalts in einer psychiatrischen Anstalt - denn sie litt in ihren letzten Jahren immer stärker an (manischer) Depression -, wo auch der Schauplatz des Stückes ist. Die Insassen pendeln zwischen Leben, Liebe, Wahnsinn, Sadismus, Tod und Erlösung. Ihr (Kanes) Absolutheitsanspruch steht exemplarisch für jene bekannten Kunstschaffenden, die sich in letzter Zeit umbrachten: Marie Zimmermann, Jörg Kalt, Georg Staudacher, Matthias Maier (Hias). Sie alle waren für ihren Fleiß und Ehrgeiz, ihre extreme Nachdenklichkeit und hohe Konzentrationsfähigkeit bekannt, was sich in fanatischer Präzisionsgenauigkeit ausdrückte. Als übersteigertes Bedürfnis, gründlich zu sein. So, wie es denn auch ihr Todesvollzug war.

Kurzprofile SUSANNE AYOUB ist in Bagdad geboren, ab sechs in Wien aufgewachsen, wo sie auch Theaterwissenschaft studierte. Sie verfaßte Hörspiele, Theaterstücke, Drehbücher und heute vor allem Romane im Themenkreis Künstlerleben, Politik, Liebe und Kriminalität. KATRIN HILLER ist 1973 in Hannover geboren und studierte in Hamburg Soziologie und Germanistik. Nach Regieerfahrungen als Assistentin studierte sie an der Folkwang-Hochschule Regie. Sie lebt als freischaffende Regisseurin in Wien und arbeitet(e) für das Burgtheater, Volkstheater und freie Bühnen.


Sarah Kanes und Floras Gier nach Liebe


Fünf Textauszüge aus
Sarah Kanes Stück Gier
auf Porträts der Autorin

SUSANNE AYOUB: Floras Fantasie vom Tod, dass er im Gegensatz zum Leben schön sein muß, verknüpft sie mit ihrer Liebe zur Oper und zum Theater, schwärmerisch und gewalttätig. Unheimlicher Weise schreibt sie, "seit ich zwölf Jahre alt bin, träume ich vom Liebestod", und mit 37 bringt sie sich um. Das klingt wie eine Inszenierung. Sie empfand es aber auch als Tragödie, neben ihrem Geliebten Alfred Hrdlicka so unbedeutend zu sein.
KATRIN HILLER: Über Sarah Kanes Selbstmord kann man nur anhand ihrer Stücke und Interviews spekulieren. Sie hat sich schon früh mit Gewalt und Mißbrauch auseinander gesetzt. Dem Stück Gier ist dann eine relativ lange Phase des Liebeskummers vorausgegangen, was der Auslöser gewesen sein könnte. Die Todessehnsucht ist in Gier allerdings mit Identitätsfindung gleichzusetzen, einer Suche nach dem "Wer bin ich?". Es geht um Gier nach sich selbst über andere Menschen. Aber vor allem um Gier nach dem "Einssein" und "Integriert sein mit sich selbst". Todessehnsucht als Zustand, in dem man ganz bei sich ist, ganz ehrlich und ganz nackt. Natürlich bedeutet das auch eine Erlösung, einen, psychologisch gesehen, absoluten Befreiungsschlag.
AYOUB: Auch Flora hatte ein schweres Identitätsproblem und war fixiert auf Alfred Hrdlicka, ihm vielleicht sogar hörig. Rein äußerlich war sie jedoch exaltiert, schwärmerisch, sehr, sehr ehrgeizig, kurz eine Frau, die sich dank ihrer Ausbildung zur Schauspielerin wahnsinnig gut in Szene und durchsetzen konnte.
HILLER: Sarah Kane erschien sicher als das Gegenteil: klein, leise und nachdenklich sprechend, mit einem ab-und-zu frechen Grinsen im Gesicht, stets freundlich, wahrhaftig, intelligent und Musik liebend, kein Egoist, sondern interessiert an anderen jungen Dramatikern. Doch in der letzten Entscheidung war sie absolut hart und konsequent. Was ja auch ihr Selbstmord beweist. Und unter der Härte mit sich selbst, verbargen sich mit höchster Wahrscheinlichkeit enorme Einsamkeit und Verletzlichkeit. Denn sonst würde man diese Härte ja gar nicht entwickeln.
AYOUB: Und wenn man so hart ist, kann man sich keine Ruhe gönnen oder sagen "ich will nicht mehr und ziehe hier meine Grenze". Die einzige Grenze ist der Tod, und das ist das Fuchtbare daran. Vielleicht besteht das Kranke darin, dass man es nicht schafft zu sagen, "das bin ich, das sind die anderen, und ich bin wichtiger". Flora hat sich in den letzten eineinhalb Jahren immer mehr an ihren Geliebten geklammert. Von der Umwelt und Freunden hat sie sich zurückgezogen und extra nur am Wochenende beim Fernsehen gearbeitet. In Briefen, die man nach ihrem Tod gefunden hat, sagt sie, dass sie es nicht mehr aushalte und ihr alles über den Kopf wachse. Dabei hat sie noch ein Haus renoviert, große Feste gegeben und war sie zunehmend erfolgreich. Darin besteht der Widerspruch.
HILLER: Sarah Kane war sogar höchst erfolgreich. Es ist sehr bezeichnend, dass sie in den ersten Stücken noch Gewalt in den Mittelpunkt stellt und zerstören will, insgesamt aber der Glaube an die Erlösungskraft der Liebe überwiegt. Während sie Gier schrieb, litt sie schon unter Depressionen, und sie bezeichnet es als ihr hoffnungslosestes Stück. Weil es nur noch über die Sprache funktioniert, wo es nicht einmal mehr die Gewalt gibt. Man hat das Gefühl, dass sich die Figuren in einem logischen System bewegen, wobei die Härte der Logik nur im Todeswunsch enden kann. Sie sagt, es gehe ihr um die absolute Wahrhaftigkeit über die Sprache. Nur, das Leben ist nie so konsequent, dass man sagen kann: "Das ist die absolute Wahrheit, das absolute Glück". Es ist immer nur in der Mitte zu finden, zwischen zwei Extremen.
AYOUB: Vielleicht war Sarah Kane früher in ihrer Auseinandersetzung mit dem Sterben schon sehr weit, und dann haben äußere Umstände das wieder ins andere Extrem gelenkt. Umgekehrt gibt die zufällig geretteten Selbstmörder, die später einen anderen Ausweg fanden, indem sie die Umstände oder ihr Leben einfach geändert haben.
HILLER: Es gibt ja eine Zeitspanne im Stück, wo man das Gefühl hat, sie reden nicht mehr darüber, sondern die Entscheidung, sich zu töten, ist gefallen. In dem Moment wird das Stück sehr hell und leicht und sehr freudig. Und wir fragen uns, ob wir diesen Moment nicht so auslegen, dass wir sagen: wenn man im Moment lebt und weniger das absolute Ideal sucht, liegt darin vielleicht der Ausweg? Wir sind uns auch nicht sicher, ob sich die vier Figuren am Ende tatsächlich töten werden. Wenn sie das Glück der Entscheidung spüren, könnten sie weiterleben wollen.
AYOUB: Das kann ich gut nachvollziehen. Das Loslassen von Idealen ist eine Erlösung.
HILLER: Und man gewinnt die Erkenntnis, dass dieser Moment der Erlösung im Leben zwar nicht ewig hält, aber immer wieder kehren kann, und nicht nur über den Tod entschieden werden muss.

Über Gewalt zur Nähe bis zum Tod

AYOUB: Man sollte sich vielleicht fragen, wie denn die Liebe als Gegenpol zum Tod bei beiden ausgesehen hat: Flora erlebte zum Beispiel mit Hrdlicka eigentlich ihre einzige ernst zu nehmende Liebesbeziehung. Sie liebte ihn schon, bevor sie mit ihm zusammen war. Von ihrer sexuellen Beziehung kenne ich nur seine Seite. Er hat es gezeichnet, sie hat es gezeichnet. Es gab die Sehnsucht zu gefallen, und zu machen, was der Partner wünscht. Flora wünschte sich, in seinen Armen zu sterben und während der Liebe gewürgt zu werden. Er tat es bis zu dem Grad, dass sie dadurch einen intensiveren Orgasmus erleben konnte. Aus ihren Bildern habe ich herausgelesen, dass sie einfach zu viel wollte, aber ob Engel oder Hure, es hat einfach nichts gereicht. Sie wollte alles sein. Das ist eine Fantasie von einer Frau, die es in Wirklichkeit nicht geben kann. Und eigentlich eine Männerfantasie.
HILLER: In Gier wird die Liebe durch die Auflösung im Anderen, das Finden von sich selbst im Anderen beschrieben, also ebenfalls in einer sehr extremen Form. Gleichzeitig gibt es aber den Schmerz der Unmöglichkeit der Vereinigung oder der Liebe. Die Frage ist: "Ist wahres Geben möglich, wahres Gesehen-werden?", und wird immer wieder durch die Unmöglichkeit des Gebens und Bekommens, des Wahrnehmens, des Gesehen-werdens beantwortet, wenn man es absolut denkt. Nähe kann nicht wirklich aufgebaut werden, es schwankt ständig zwischen Nähe und Distanz.
AYOUB: Flora hat schon Nähe gebraucht und sich genommen, nur genügte ihr das nie. Und das ist der entscheidende Punkt: es genügt nie. Es ist dieser Absolutheitsanspruch, den wahrscheinlich niemand erfüllen kann. Wenn man sich die Latte so hoch hält, kann man nur total enttäuscht werden. Auch in Floras Gewaltdarstellungen wie zerstümmelte Körper und Waffen zeigt sich diese Konsequenz, die Dinge ganz unerbittlich, sich selbst verletzend, zuende zu denken.
HILLER: Die stark präsente Gewalt bei Kane steht wiederum dafür, etwas, sich selbst durch den Kampf spüren zu wollen. Hinter solchen großen Bildern kann etwas Prinzipielles stecken. Wobei sicher in beiden Frauen gleichzeitig großer Selbsthaß schlummert. Kane lässt eine Frau in Gier sagen: "Ich bin scheiß verloren, in dieser Sauerei von Frau", "Ich wünsche, ich wäre wäre schwarz zur Welt gekommen, männlich und attraktiver". Solche Menschen, die sehr in Extremen wie gut und schlecht denken, können andererseits eine enorme Kraft entwickeln. Nur muß man sich halt dann schon eingestehen, sich anstrengen zu müssen, um zum Ziel des "Guten" zu gelangen. Vielleicht stecken dahinter also einerseits Machtfantasien, andererseits der Wunsch nach Nähe zum geliebten Mann. Und Sexualität und Tod haben ja auch zum gemeinsamen Ziel die extreme Form von Nähe. Gerade der gemeinsame Liebestod bedeutet die Auslöschung von einem selbst im anderen. Deshalb sterben auch in Gier alle.

Kunst als Hilfe aus dem, nicht zum Leid

AYOUB: Die Frage ist nur, inwiefern Wahnsinn und Depression dieser Art mit Kunst-an-sich zu tun haben? - Flora sagte selbst: "Wenn man nichts hat, hat ein Genie zumindest noch seine Kunst, auch wenn es noch so leidet." Für den Künstler ist Leid ein Ansporn. Deshalb hat Hrdlicka ja auch vieles über die Beziehung zeichnerisch dargestellt. Selbst Sartre sagte: "Unglücklich zu sein, ist die einzig interessante Existenzform, denn sonst bräuchte man überhaupt nichts zu schreiben." Das halte ich eigentlich auch für ganz gescheit.
HILLER: Aber nicht jeder, der Kunst macht, leidet an einer Krankheit oder unter großem Leid. Ich halte die Bewerbung von solchen Seelenvoraussetzungen für eine gefährliche Verzerrung der Tatsachen. In Wahrheit ist das Kunstschaffen ja eine Hilfe für das Leben, wie zu zeigen, dass kleine Entscheidungen im Leben das wahre Glück bedeuten. Wir sind hier sicher nicht alle verrückt!



(Gesprächs-Auszug vom Herbst 2000, volle Länge, geführt von ELFI OBERHUBER, in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)