Der Schauspieler und Regisseur des Theaters in der Josefstadt HERIBERT SASSE diskutiert mit Wiener-Festwochen - Schauspieldirektorin MARIE ZIMMERMANN, die sich im April 2007 das Leben nahm, und ELFI OBERHUBER über den Zusammenhang zwischen Theater und Religion, Hitler als Dämon oder Grotesker und Helden-an-sich. Zu Einführung und Teil 1 scroll down.
Kurzprofil HERIBERT SASSE, geb. 28.9.1945 in Linz (Sternbild Waage), aufgewachsen in Wien. Als Elektrotechniker mit 18 Musikstudium am Max Reinhardt-Seminar Wien. Ab 1969 jedoch Schauspieler (+ Techniker, Inspizient) am Wiener Volkstheater; Wechsel nach München, Berlin (Staatliche Bühnen), als Regisseur auch am Düsseldorfer Schauspielhaus, an der Josefstadt und am Volkstheater Wien. 1980-´85 Intendant des Berliner Renaissancetheaters, ´85-´90 Generalintendant der Staatlichen Bühnen Berlin, 1995-2002 Intendant am privaten Schlossparktheater Berlin. 2005/2006 wurde er zur zentralen Schauspielerpersönlichkeit der Direktions-Ära Michael Schottenberg am Volkstheater und ließ sich wieder in Wien nieder. 2006/2007: Wechsel ans Theater in der Josefstadt in Wien, dessen neuer Direktor Herbert Föttinger ihn mit großen Schauspiel- und Regieaufgaben betraut: Am 24., 28., 29.5.2007: 19h30 spielt er in der Josefstadt in Der Revisor den Anton Antonowitsch Skwosnik-Dmuchanowskij, in den Kammerspielen führt er in Mich hätten Sie sehen sollen Regie (zum letzten Mal: 27.5.2007: 20h). In der kommenden Saison spielt er in Der Diener zweier Herren in der Josefstadt ab 15.11.2007 den Pantalone. Vielfach ausgezeichnet.
Kurzprofil HERIBERT SASSE, geb. 28.9.1945 in Linz (Sternbild Waage), aufgewachsen in Wien. Als Elektrotechniker mit 18 Musikstudium am Max Reinhardt-Seminar Wien. Ab 1969 jedoch Schauspieler (+ Techniker, Inspizient) am Wiener Volkstheater; Wechsel nach München, Berlin (Staatliche Bühnen), als Regisseur auch am Düsseldorfer Schauspielhaus, an der Josefstadt und am Volkstheater Wien. 1980-´85 Intendant des Berliner Renaissancetheaters, ´85-´90 Generalintendant der Staatlichen Bühnen Berlin, 1995-2002 Intendant am privaten Schlossparktheater Berlin. 2005/2006 wurde er zur zentralen Schauspielerpersönlichkeit der Direktions-Ära Michael Schottenberg am Volkstheater und ließ sich wieder in Wien nieder. 2006/2007: Wechsel ans Theater in der Josefstadt in Wien, dessen neuer Direktor Herbert Föttinger ihn mit großen Schauspiel- und Regieaufgaben betraut: Am 24., 28., 29.5.2007: 19h30 spielt er in der Josefstadt in Der Revisor den Anton Antonowitsch Skwosnik-Dmuchanowskij, in den Kammerspielen führt er in Mich hätten Sie sehen sollen Regie (zum letzten Mal: 27.5.2007: 20h). In der kommenden Saison spielt er in Der Diener zweier Herren in der Josefstadt ab 15.11.2007 den Pantalone. Vielfach ausgezeichnet.
Der Jungen emphatische Lust auf Ängste
Marie Zimmermann (Foto © Michael Dürr, Faksimile)
MARIE ZIMMERMANN: Das schließt schön an ihrer anfänglichen Definition vom Helden an. Der Unterschied vom Theater zur Kirche ist nur: Im Theater muß ich nicht glauben. Das ist eine absolut undogmatische Kunst.
HERIBERT SASSE: Doch, das müssen Sie. Da sehe ich die Kirche anders. Obwohl ich aus der Kirche schon lange ausgetreten bin.
ZIMMERMANN: Ich bin nun mal mit einem positiven Katholizismus des Johannes,dem 23., groß geworden.
SASSE: Na, vielleicht kommen wir ja doch noch ins Streiten: Nein, Sie müssen im Theater glauben. Wahrscheinlich sagen wir eh dasselbe. So wie Sie nach Brook der Tagesschau glauben, dass sie die Tagesschau ist, glauben Sie auch im Theater, dass es jetzt passiert.
ZIMMERMANN: Genau. Aber ich weiss, dass ich Meines zu diesem Glauben beizutragen habe. Auch als Zuschauer.
SASSE: Das hätten Sie in der Kirche doch auch. Nur ist es der Kirche abhanden gekommen, das so zu gestalten ...
ZIMMERMANN: Wir können ja auch über Glauben und Wissen streiten. Das wäre auch eine interessante Debatte.
SASSE: Durchaus...
ZIMMERMANN: Ich glaube, der Verbindungspunkt zwischen Helden, Kirche und Theater liegt darin, dass Theater als aktivste Kunst von der Lebensangst handelt und von nichts anderem. Es geht nur um die drei großen Themen: Liebe, Tod; und das Unglück anderer Leute, was meistens in Komödien behandelt wird. Schon die alten Griechen haben in ihrem merkwürdigen Theaterbegriff der Katharsis davon gesprochen, dass man sich - ausgehend vom Umstand, immer wieder dieselben Fehler zu machen, sozusagen vorsätzlich am eigenen Unglück zu basteln, während man aber meint, man bastle gerade am Lebensglück - vom Unheil reinigen und wieder von vorne anfangen kann. Dass also Leben etwas mit schuldig werden zu tun hat, gibt es nur im Theater und in der Kirche. Jede Handlung könnte falsch sein. Und der damit einhergehenden Angst hat man sich zu stellen. So wie der entführte Jan Philipp Reemtsma - während seiner Gefangenschaft über sechs Wochen in einem jämmerlichen Kellerloch - beschreibt, wie das aus der Psychologie bekannte Phänomen bei ihm einsetzt, dass er sich als kampfaufgebendes Opfer mit dem Aggressor zu identifizieren beginnt und fast Liebe von dem Menschen haben will ...
SASSE: ... der ihn quält.
ZIMMERMANN: ... der ihn zerstört, ja.
intimacy-art: Also die klassische Mann-Frau-Beziehung, nicht?
ZIMMERMANN: Und in dieser reflexiv bewußten Selbstaufgabe, worin er all seine bisherigen Wertmaßstäbe weg wirft, fällt der Satz, der mich wie ein Fallbeil getroffen hat und mich seitdem begleitet: "Vielleicht sind unsere Utopien ja nichts anderes, als unsere durch Hoffnung entstellten Ängste." Zwischen den Menschen, die 1930, die 1970, bzw. zwischen 1975 und heute geboren sind, gibt es innerhalb dieses Mechanismus aber jetzt eine Bruchlinie. Diese jüngere Generation hat eine fast emphatisch-verzweifelte Lust, sich den Ängsten zu stellen. Das nimmt Ausdrucksformen an, die zum Teil unerträglich, andererseits aber auch künstlerisch sind. Wie in dem Fußballstück I Furiosi mit acht außerordentlich unsympathischen Jungbullen, sprich Hooligans, von denen man als Außenstehender eigenlich nichts wissen will, man nach dem Stück aber zumindest Verständnis aufbringen kann. Und darum geht es insgesamt in der Kunst: dafür zu werben, dass es die Möglichkeit gibt, zu ertragen - Toleranz kommt ja von ertragen. Das Handgepäck dafür liefert das Theater, da die Kirche tatsächlich für viele nicht mehr bindend ist.
Nur katholische Skinheads schrecken vor Mord zurück
intimacy-art: Andererseits bremst heute aber das Wort "political correctness" nicht nur in der Sprache, sondern auch im Alltag die Emotionen ein. Die Leute müssen sich auch im Berufsleben mehr als nur gesittet benehmen. Emotionale Ausbrüche gelten gleich als Zeichen von Verrücktheit oder dass man ein Problem mit sich selbst hat. Wobei ich jetzt aber nicht von allen Schichten sprechen kann.
SASSE: Ich wollte gerade fragen: Wo verkehren Sie?
intimacy-art: Tja, Sie als Schauspieler dürfen sich Ausbrüche sicher leisten.
ZIMMERMANN: Ich lebe zwar noch nicht so lange auf dieser Welt, aber kucke seit ich da bin, relativ wachsam zu. Ich hab das Gefühl, es ist genau umgekehrt: die Welt wird immer sexualisierter.
intimacy-art: Ja, aber nur in den Medien. Ausgelebt wird das in Wirklichkeit weniger.
ZIMMERMANN: Dann setzen Sie sich doch mal in die U-Bahn, da rennen Filme ab. Das hätte ich mir in den 60-er Jahren ohne meine Eltern nicht anschauen dürfen. Es wird immer gewaltbereiter, sogar die Sprache der halbwegs gesitteten Anzug- und KostümträgerInnen ufert aus. In eine Form von Rabiatheit und Direktheit, die für mich zunächst zwar nur ein Anzeichen für Irritation ist, ungeschützt mit den eigenen Emotionen zu kämpfen. Dazu kommt aber sicher, dass durch die allgegenwärtige Durchpsychologisierung mit Tante-Antje-Spalten in Illustrierten eine Art Ersatz-Sigmund-Freud den Leuten permanent den Verdacht aufdrängt, dass das, was sie sagen, eigentlich ganz etwas anderes bedeute. Und da kollidieren die Jugendlichen einfach mit einer sehr brachialen Form, die Dinge beim Namen zu nennen. Das heutige Wort "geil" hieß zu meiner Zeit "klasse". Ich wäre nie auf die Idee gekommen, etwas, das mich besonders berührte, geil zu nennen.
intimacy-art: Ich glaube aber, dass sich das nur auf der Sprachebene spielerisch bewegt. Die Jungen haben ihre Musikvideos, wo "fuck" und Frauendiskriminierung vor kommt, was aber wieder von der schwarzen Kultur aus Amerika kommt ...
ZIMMERMANN: Dafür müssen Sie aber doch nicht den Fernseher einschalten.
intimacy-art: Doch, ich denke, dass das im Allgemeinen nur die Oberfläche ist, die also nicht in Handlungsgewalt im Leben ausartet, ebenso wie das keine Sexualität ist, die man auch im Alltag hat. Das ist eine virtuelle Brutalität, Gewalt und Sexualität, die mit dem Leben kaum zu tun hat.
ZIMMERMANN: Das kann aber nicht sein. Dann würden sich die Gerichte nicht mit so merkwürdigen Delikten wie Mißhandlungen in der Ehe oder an Kindern beschäftigen.
intimacy-art: Das wird doch lediglich erst heute aufgedeckt, hat im Untergrund aber schon immer stattgefunden ...
ZIMMERMANN: Da bin ich mir nicht sicher, schon weil ich verschiedenste Gruppierungen erlebt habe und zwar wieder in Zusammenhang mit der Kirche. Einmal bei einem Low-Budget-Festival im Stadttheater Freiburg Anfang der 90-er Jahre, wo ich eine Gruppe aus Polen eingeladen hatte, die ein Theaterdirektor in Krakau gegründet hatte. Und zwar nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs, wo sich polnische Jugendliche brutal darauf kapriziert hatten, türkische Fahrer in westdeutschen LKWs zu überfallen, um an Zigarettenladungen und Geld zu kommen. Denn im postkommunistischen, streng katholischen Polen hatte sich eine militant-fremdenfeindliche Skinheads-Szene entwickelt. An einem Versammlungsplatz bekämpften sie zu fünzigst täglich abends um sechs die fünf Punks, die Krakau zu bieten hatte, also eine Stunde bevor das Stadtheater Krakau öffnete. Einmal ging der Theaterdirektor auf diesen Platz raus und sagte: "So, Ihr könnt das jetzt noch zwei Jahre so weiter machen", er fände es aber relativ fad, sie sollten doch das, was sie da zu verhandeln hätten, bei ihm im Theater machen. Und so führte er dann mit diesen Laien, halb Skins, halb Punks, Romeo und Julia auf. Beim Festival kam es dann zu einer Debatte - sehr politisch korrekt, denn Freiburg liegt im äußersten Südwesten der Bundesrepublik, nah an Frankreich und der Schweiz, ist also ein altliberales Pflaster seit 150 Jahren, wo die
Friedensbewegung stark vertreten ist. Und da fragten die politisch korrekten Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Mütter diese Jungs und Mädels: "Wie kommt denn das, dass sich so nette Leute, die so nett Theater spielen können, zwischen 6 und 7 die Rüben einhauen und außerdem Türken erschlagen wollen?" Der größte Haudegen aus dieser Truppe wurde von einer jungen Frau gefragt, ob er gegen Ausländer sei. Ja, sei er. Ob er finde, dass die in Polen nix zu suchen hätten. Ja, finde er. Und es endete mit der Frage, ob er auch jemanden umbringen würde? Darauf sagte er ganz erschrocken: "Nein!" Und sie: "Wieso?" Und er: "Ich bin doch katholisch." - Und da sage ich nun: Das funktioniert halt bei uns nicht mehr. Ein Berliner würde nicht sagen: "Ich bringe keinen Türken um, weil ich katholisch bin."
Hitler ist weder Held, noch Anti-Held. Aus. Punkt.
intimacy-art: Das gibt es auch bei den Schwarzen-Vierteln in Amerika. Solche Konflikte zwischen den Kulturen, zwischen arm und reich und unter Arbeitslosigkeit, sind nicht neu und auf unsere Jugend begrenzt. Schon im zweiten Weltkrieg gab es sie, als man die Juden angegriffen hat.
ZIMMERMANN: Und da kann man sich aber auch gleich in Sachen Heldentum zurecht legen, dass man nicht nur ein Held ist, wenn man unter Lebensgefahr einen Juden versteckt, sondern wenn man im Kleinen - wurscht ob im Theater oder auf der Straße - als Zuschauer von seinem Wahrnehmungsinstrument Gebrauch macht: Ich beobachte hier in Wien zum Beispiel viele kleine Aggressivitäten, an denen Leute vorbei gehen, wo geschubst wird oder sich zwei prügeln. Es geht also nicht darum, ob ich einen starken Mann daran hindere, wenn er seine Frau prügelt. Sondern dass ich registriere: Junge, ich sehe, dass du deine Frau prügelst, und wenn man mich fragt, wie du aussiehst, kann ich dich beschreiben. Das hilft manchmal schon.
intimacy-art: Ich würde trotzdem gerne noch mal zurück zum Zweiten Weltkrieg kommen, und zu den Figuren Hitler und Tura. Wenn man sagt: beide sind auf Arten-für-sich Anti-Helden, könnte dann Tura trotz seiner Lächerlichkeit verglichen mit "Hitler" irgendwann doch als wahrer Held durchgehen?
ZIMMERMANN: Haben Sie die Frage verstanden?
SASSE: Nein.
intimacy-art: Sie haben gesagt, dass der Tura kein Held ist, weil er nur aus Eitelkeit seine Frau zurück haben will. Wie heldenhaft verhält er sich dennoch zum heutigen Anti-Helden Hitler?
ZIMMRMANN: Moment mal, jetzt kommen die Kategorien aber schwer ins Rutschen. Hitler hat zu keiner Zeit etwas Heldisches gehabt. Auch nicht aus damaliger Sicht.
SASSE: Entschuldigung, dann wäre der Saddam Hussein für Sie auch ein Held?
intimacy-art: Nein, für mich persönlich ist Hitler auch kein Held ... Aber für viele Leute seiner Zeit war er es.
SASSE: Es ist unheimlich schwer, so eine Diskussion zu führen, weil wir, obwohl wir dieselbe Sprache sprechen, nicht dieselbe Sprache sprechen. Da wird es sehr schwer, weil die Begrifflichkeiten, die ich verwende, für Sie und Frau Zimmermann mitunter etwas anderes bedeuten. Für meinen Geschmack wird auch der Begriff "political correctness" zu oft verwendet, weil dahinter enorm viel versteckt wird. - Der Hitler hat für sich selbst prinzipiell nichts riskiert, er hat nur sein Volk riskiert ... und in den Häfen ging er ja auch nicht als Held, sondern als Arbeitsloser ...
ZIMMERMANN: Wobei nichts gegen Arbeitslose zu sagen ist.
SASSE: Nein, aber da hat er auch nur Müll gebaut. Denn er ging ja nicht aus Überzeugung.
intimacy-art: Das habe ich aber nicht gemeint. Wir haben gesagt, jemand erscheint deshalb als Held, weil ihn die Außenstehenden dazu machen. In der Nazi-Zeit war er für viele, die ihn gewählt haben - selbst wenn man heute sagt, die Zahlen waren zum Teil falsch - ein Held. In der heutigen Zeit ist er ein absoluter Anti-Held.
ZIMMERMANN: Entschuldigung, ich diskutiere nicht weiter, wenn Sie da den Begriff Anti-Held nicht wegtun. Das hat überhaupt nichts mit Hitler zu tun. Das war ein korrupter, schrecklicher Diktator, Punkt, aus, der die Macht, die er hatte - wie er sie bekommen hat, ist vollkommen wurscht - mißbraucht und einen halben Kontinent in Sack und Asche gelegt und 6 Mio. Leute ermordet hat. Der ist weder mit dem Wort Held, noch Anti-Held zu bezeichnen. Aus. Punkt.
intimacy-art: Aha. Was ist dann für Sie ein Anti-Held?
ZIMMERMANN: Ein Anti-Held ist von mir aus das Gegenteil von einem Helden. Aber selbst das ist Herr Hitler nicht. Er ist einfach ein mächtiger Diktator gewesen. - Man kann lange darüber streiten, wie er an die Macht gekommen ist, die er dann, wie erwartet, mißbraucht hat - aber das ist jenseits ... Das ist für mich kein ästhetisches Phänomen, wenn Sie es so wissen wollen. Dass Leute den verehrt haben - sozusagen mit ihren letztgültigen Untergangsphantasien eine Liaison eingegangen sind - das kann ja sein. Nur rutschen für mich da die politischen Kategorien auseinander.
intimacy-art: Ja, vielleicht habe ich eine größere Distanz zu diesem Menschen...
Die Metamorphose des Helden im Laufe der Generationen
ZIMMERMANN: Sie dürfen doch eins nicht vergessen: Das Phänomen, von dem das Tura-Stück handelt, bezieht sich doch noch auf vor all das Wissen, das wir als Nachgeborene heute haben, darüber, wie systematisch der Nationalsozialismus in seiner Vernichtungsmechanik funktioniert hat.
SASSE: Das sehe ich nicht so, aber bitte. Das Furchtbare am Tura-Stück liegt für mich in der Wiederholbarkeit.
ZIMMERMANN: Das stimmt.
SASSE: Das Entscheidende ist, dass so ein Wahnsinn nur durch einen nächsten auszutreiben ist. Wie wenn man sagt: Das gibt es nicht. Und am nächsten Tag schlägt man die Zeitung auf, und weiß, man hat ein kleines Kabinettstückchen von dem gesehen, was andauernd stattfindet. Und ich glaube, der Erfolg der Erzählweise liegt nicht so sehr in der Dämonie, sondern in der Groteske. Es fängt mit einem Gestapo-Laden an, wo sich einer, gar nicht schauspielerisch oder schlecht gespielt, der Macht bewußt ist. Diesen Gestapo-Burschen spiele ich so menschlich und gefährlich, so eins zu eins als möglich, um dann als Schauspieler dem Zuschauer, der vorneweg draufliegt, sagen zu können: "Das da oben ist doch ziemlicher Schitt, was die machen."
intimacy-art: Mir taugt als jüngere Generation, die wir auf der Uni sehr viele Dokus über Zeitzeugen gemacht haben, vor allem diese Groteske. Denn auch wir haben den Hitler gerne verarscht, indem wir ihn mit ganz arger Techno- und Hiphop-Musik unterlegt haben, wenn er in dieser bekannten Doku-Sequenz auf seinem Wagen stehend in die jubelnde Menge einfährt. Das meinte ich mit der Distanz zwischen den Generationen gegenüber dieser Historiengestalt. Es gab aber schon damals einen Professor, der diese Version als geschmacklos abgelehnt hat. Doch: Wir Jungen gehen mit dem viel ungenierter um, so als wäre er eine objekthafte Comic-Gestalt, weil wir denken, dass ihm das gehört. Und das habe ich nun in Ihren Programmen wieder entdeckt und mich bestätigt gefühlt. So etwa auch durch Neville Tranters "Schicklgruber alias Adolf Hitler". Aber ein Stück zeigt, dass auch sich direkt im Krieg Befindende abhärten, also sich zu distanzieren versuchen. In "The Notebook / The Proof" wollen die Brüder Lucas und Klaus ihre Gefühle verlernen, um sich nur noch in Tatsachen zu üben. Inwiefern machen Kriegsitutationen gefühlskälter?
ZIMMERMANN: Kann ich nicht beurteilen, weil ich nie vom Krieg berührt wurde. Ich glaube aber, dass man mit den widerstreitenden Gefühlen in den Menschen, die sich immer zwischen positiv und negativ hin und her bewegen, in zivilen Umständen friedlicher umgehen lernt als im Krieg. Was das mit jemandem macht, da kann ich mich nur auf die Erzählungen meiner Eltern verlassen, die ich aber naturgemäß vor dem Krieg nicht kennen lernen konnte. Ich weiß es nicht.
intimacy-art: Und da ich Sie ja als lebenden Helden ausgewählt habe ...
SASSE: Ich hätte lieber, dass man sagt: Das war ein ganz anständiger Bursch und interessanter Theatermann. Als Helden sehe ich mich nicht. Ich würde es aber als Heldentat empfinden, am Gänsehäufel auf den Schrebergärten alle Gartenzwerge zu entfernen.
intimacy-art (lacht): Nun, dann danke ich Ihnen also für diesen absurden Schluß.
(Interview-Auszug vom 7.5.2003, volle Länge in Print (Deutsch+Englisch) / Audio (Deutsch) über intimacy-art@gmx.at)
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